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Die „vergessenen“ Ziesel beim Heeresspital


Freitag, 21. Oktober 2011

17. Okober 2011 - Aus dem nun vorliegenden Ziesel-Gutachten (siehe Anhang) geht klar hervor, dass bereits im Jahr 2009 zum Zeitpunkt des Widmungsverfahrens eine dichte Ziesel-Population am Areal des Heeresspitals dokumentiert war. Schon im August 2007 war die Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 wegen einer „Zieselplage“ verständigt worden. Obwohl die Verwirklichung der inzwischen beschlossenen Flächenwidmung offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Habitat der streng geschützten Ziesel hätte, wurde im Verfahren keine Umweltprüfung durchgeführt.

Die „Zieselplage“ im Wortlaut

Wörtlich findet sich im Ziesel-Gutachten die folgende Passage:
Am 16.8.2007 fand im Gelände des Heeresspitals ein Lokalaugenschein (MA 22, Uni Wien) aufgrund einer vom damaligen Zuständigen gemeldeten ‚Zieselplage‘ auf dem dortigen Sportplatz statt, der auf eine hohe Populationsdichte der Ziesel schließen ließ (auf einen Blick waren mehrere Tiere sichtbar). Die Tiere seien massenhaft erschienen, ‘seit entlang der Brünner bzw. Johann-Weber-Straße gebaut’ wurde.

Auch im Jahr 2010 zeigte sich bei einem Termin vor Ort ein ähnliches Bild:
Ein weiterer Lokalaugenschein im Gelände des Heeresspitals am 9.7.2010 (MA 22, Uni Wien) aufgrund der vom damaligen Zuständigen gemeldeten anhaltenden ,Zieselplage‘ auf dem Sportplatz des Heeresspitals ließ auf eine weiterhin hohe Populationsdichte der Ziesel schließen (wieder waren auf einen Blick mehrere Tiere sichtbar).
Somit ist auch für das Jahr 2009 von einer großen Ziesel-Population am Areal des Heeresspitals auszugehen.

Die Notwendigkeit einer Umweltprüfung

Ziesel sind nach dem Wiener Naturschutzgesetz und nach der EU-FFH-Richtlinie (Anhang II und IV) streng geschützt. Sie gelten als „prioritär bedeutend“ und genießen am gesamten Stadtgebiet Lebensraumschutz. Die strengen Artenschutzvorgaben sind daher in Planungen, die signifikante Auswirkungen auf eines der wenigen in Wien verbliebenen Ziesel-Reservate haben, entsprechend zu berücksichtigten.

Die Wiener Bauordnung sieht die Notwendigkeit einer Umweltprüfung außerhalb von Natura 2000-Schutzgebieten vor, wenn die Verwirklichung der Flächenwidmung voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat und zwar im Sinne der Kriterien des Anhangs II der EU-Richtlinie 20001/42/EG. Ganz offensichtlich hätte jedoch die Realisierung des Plandokuments 7906, es umfasst u.a. das Areal des Heeresspitals und das Feld nördlich davon, eine erhebliche Umweltauswirkung. Die Widmung ermöglicht die Errichtung von Gebäuden im Lebensraum der streng geschützten Ziesel, deren dichtes Vorkommen am Heeresspital längst dokumentiert war.
Darüber hinaus wurde bereits im Jahr 2006 durch das Wiener Arten- und Lebensraumschutzprogramm „Netzwerk Natur“ dokumentiert, dass in dem Gebiet rund um das Heeresspital das Vorkommen der streng geschützten und prioritär bedeutenden Ziesel bekannt war.

Ziesel nördlich des Heeresspitals

Hätte in 2009 eine Umweltprüfung stattgefunden, dann wäre mit Sicherheit auch die Ziesel-Population auf den Feldern nördlich des Heeresspitals in ihrer vollen Dimension erfasst worden. Denn wie das Gutachten weiter ausführt, wurde im August 2009 im Rahmen eines FWF-Projektes (unabhängig vom Widmungsverfahren) dieser Bereich im Umfang von einem Hektar stichprobenartig untersucht und dabei 18 Baue (Ziesel oder Feldhamster) vorgefunden.

Da die Felder nördlich des Heeresspitals bis Mitte 2010 bewirtschaftet wurden und Getreidefelder nicht als attraktiver Ziesel-Lebensraum gelten, wäre also davon auszugehen, dass in dieses Gebiet keine nennenswerte Zuwanderung von anderen Ziesel-Vorkommen erfolgte. Zudem liegen Fotos aus Juni 2010 vor, die Ziesel-Sichtungen dort ganz am nördlichen Rand dokumentieren. Es erscheint daher plausibel, dass schon im Jahr 2009 nördlich des Heeresspitals eine Population existierte, deren Größe mit der aktuell festgestellten Anzahl von 173 Tieren vergleichbar war.
In der Folge war es letztlich den Beobachtungen aufmerksamer Anrainern zu verdanken, dass die Ziesel nördlich des Heeresspitals einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden.

Priorität für die Ziesel?

Unklar ist, warum das dokumentiert dichte Vorkommen der „prioritär bedeutenden“ Ziesel im Zuge des Widmungsverfahren beim Heeresspital nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Anstatt die absehbaren Auswirkungen der Widmung auf den Ziesel-Lebensraum im Detail zu prüfen, wurde die Begutachtung des Plandokuments im August 2009, also mitten in der Urlaubszeit, unter großem Zeitdruck in nur zwei Wochen durchgezogen.
Noch im Jahr 2005 hatte der Schutz der Tiere, die mittlerweile in Österreich an erster Stelle der Roten Liste, stehen, tatsächlich oberste Priorität. Auf den ehemaligen Radio Austria Gründen im zehnten Wiener Bezirk war eine Ziesel-Kolonie durch ein Bauprojekt gefährdet, doch wurde auf Antrag der SPÖ im Wiener Gemeindeart einstimmig beschlossen zum Schutz der Tiere auf eine Verbauung des Areals zu verzichten.

Politik ist nun am Zug

Die Politik ist nun dringend gefordert zu handeln, denn für die Flächenwidmung beim Heeresspital besteht aufgrund der unterbliebenen Umweltprüfung augenscheinlich Sanierungsbedarf. Auch ist zu klären, ob die Widmung überhaupt rechtens zu Stande kam. Eines der letzten Vorkommen der in Österreich am stärksten vom Aussterben bedrohten Säugetierart verdient, schon aus Gründen der internationalen Optik, hinsichtlich des Artenschutzes ein größeres Augenmerk.
Jetzt im Raum stehende „Ausgleichsmaßnahmen“, konkret das Abdrängen der Ziesel aus ihrem Lebensraum auf „Ausgleichsflächen“ durch gezieltes Pflügen, sind somit abzulehnen. Bereits im Widmungsverfahren wäre der richtige Zeitpunkt gewesen zu klären, ob und welche Verbauung unter Einhaltung der Naturschutzgesetze überhaupt zulässig wäre und wie mit den streng geschützten Tieren in der Folge unter Einhaltung der EU-Richtlinien umzugehen ist.

Kommentar

Ein dichtes Ziesel-Vorkommen beim Heeresspital war also schon in 2007 bekannt, versehen mit dem qualifizierten Hinweis, dass deren spontanes Erscheinen auf umliegende Bautätigkeit zurückzuführen sei. Obwohl die Gegend seit dem STEP 05 als Stadtentwicklungsgebiet gilt, läuteten offenbar nicht die Alarmglocken.
Spätestens im Widmungsverfahren 2009 hätte man jedoch der Frage nachgehen müssen, was es mit den vielen Zieseln beim Heeresspital auf sich hat, denn es standen unübersehbar große Investitionen im zumindest zweistelligen Millionenbereich an und das in einem Gebiet, das womöglich bereits von einer streng geschützten und „prioritär bedeutenden“ Art dicht besiedelt ist.

Warum wurde trotz des bekannten Großvorkommens keine Umweltprüfung stattfand, bleibt also schleierhaft. Das führte in der Folge leider zu der unerfreulichen Situation, dass inzwischen tatsächlich viel Geld ausgegeben wurde und der wirtschaftliche Druck auf die Ziesel, sie stehen in Österreich an erster Stelle der roten Liste, ein ganz enormer ist.
Trotz all dem ist es abzulehnen, dass die „prioritär bedeutenden“ Ziesel, „motiviviert“ durch den Pflug, aus ihrem angestammten Habitat nun in Ersatz-Reservate übersiedeln sollen. Diese liegen nämlich zum Teil direkt neben der künftigen Großbaustelle oder überhaupt inmitten des verbauten Areals (!) und zudem wird den Tieren dort auch, bedingt durch den Schatten der hohen Verbauung, auch noch in der zweiten Tageshälfte das Licht genommen, was wohl eine eindeutige Habitatsanforderung von Steppentieren ist, die normalerweise weit einsehbare Flächen bewohnen.

Wie schon im Gutachten ausgeführt ist, führte umliegende Bautätigkeit zur Flucht von Zieseln auf das Heeresspital-Areal und es ist daher nicht zu erwarten, dass die bedrohten Tiere nördlich des Heeresspitals dem munteren Treiben auf der Großbaustelle mit großen Interesse zusehen werden. Vielmehr befürchten wir, dass sich am Marchfeldkanal nördlich des Heeresspitals eine veritable Artenschutz-Katastrophe anbahnt, die in diesem Ausmaß von vornherein vermeidbar gewesen wäre.

Die IGL-Marchfeldkanal
http://marchfeldkanal.wordpress.com

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