AKT!ON 21

Aufgeschnappt:
„Wenn das Volk begehrt“


Freitag, 13. Oktober 2017

Unter dem Titel gibt ein 23 Jahre junger, gelernter Gastronom nach eineinhalb Tagen Politikstudium und 11 Monaten Tätigkeit als Politikredakteur mit der Spezialität Gesellschaftspolitik in der “Wiener Zeitung” seine Meinung zur direkten Demokratie kund.

Es sind die üblichen Scheinargumente, die notabene gegen jede Art von Bürgerbeteiligung, nicht nur gegen die direkte Demokratie (wo sie wenigstens für Oberflächliche überlegenswert erscheinen), vorgebracht werden. Sie könnten - über Parteienauftrag - direkt von Silberstein sein. Und natürlich die selbstgebastelte Strache-Keule drauf, als wäre sie dank jahrelanger Gehirnwäsche zum Argument nobilitiert worden.

Zwentendorf wird ausgeblendet
Marchart zitiert den bulgarischen Politikberater Ivan Krastev, der meint, dass Referenden zu einer gefährlichen Simplifizierung komplexer Fragen führen können und führt als Beispiel den Brexit an, der gezeigt habe, dass in Volksabstimmungen manipulatives Gefahrenpotenzial stecke. Als gelerntem Österreicher fällt dazu sofort Zwentendorf ein. Auch damals (und vereinzelt noch heute) sind andere Staaten über Österreichs rigorose Ablehnung der Atomkraft not very amused gewesen. Erst nach Tschernobyl und Fukushima hat ein gewisses Umdenken begonnen; gegen Tatsachen ist es halt schwierig zu argumentieren.

Kulturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk ist allerdings noch radikaler und verzichtet überhaupt auf Argumente. Denn für seine Behauptung "Ich glaube, die direkte Demokratie ist der Tod der Demokratie", weil für Entscheidungen, die vom Volk ausgehen, niemand verantwortlich sei - gewählte Politiker könnten Verantwortung abschieben und sich auf Volksentscheide ausreden -, gibt es ja kein besseres Beispiel als eben Zwentendorf und die Tatsache, dass die Demokratie auf Kreiskys damalige Flucht aus der Verantwortung nicht gestorben ist, sondern im Gegenteil die richtige Antwort gegeben hat. Auch da hat sich der Volksentscheid allemal als besser erwiesen als der Beschluss einer politischen Mehrheit.

Wer sich die Augen selbst verbindet, sieht die Dinge eben anders, als sie sind. Und wer Bürgerbeteiligung mit derart infamen Mitteln madig zu machen versucht, braucht sich über Populisten, Volksverblöder und Gehirnvernebler nicht mokieren. Er wirft mit Steinen aus dem eigenen Glashaus.

Warum aber bekocht uns Herr Marchart mit diesem immer wieder aufgewärmten Brei? Wer oder was animiert ihn, sich zum Advokaten dieses Unsinns zu machen, demzufolge wir Ösis für das Schweizer Modell nicht taugen, weil wir unseren Nachbarn gegenüber ein enormes Übungsdefiizit hätten? Selbst wenn es wirklich jahrelanger Übung bedürfte, um Schweizer Standard zu erreichen: jede Übung muss einmal begonnen werden, je früher, desto besser. Beginnt man sie erst gar nicht, hat man das Scheinargument mangelnder Übung. So einfach ist das – bei den Silbersteinen.

Warum macht man Bürgerbeteiligung herunter?
So dümmlich, den Souverän mit den ihn betreffenden Entscheidungen als überfordert zu bezeichnen, kann ja nur jemand argumentieren, der am liebsten die Wahlen abschaffen würde, denn die sind wohl der heikelste Volksentscheid überhaupt, weil sie ja, im Gegensatz zu Abstimmungen, die ja nur eine einzige Sachfrage entscheiden, eine Art Blankovollmacht darstellen. Kelsen, der Vater unserer Verfassung, hat gewusst, welche Riegel er den Parteien-Oligarchen vorschieben muss, um Entwicklungen zur Diktatur hintanzuhalten. Ebenso hat er gewusst, wie Plebiszite gezähmt werden können. Es wird ja auch immer wieder verschwiegen, dass Volksabstimmungen sehr wohl in unserer Verfassung vorgesehen sind, allerdings nur dann, wenn die Mehrheit des vom Volk gewählten Sachwalters namens Nationalrat dies bewilligt. Mit zunehmender politischer Reife können wir riskieren, die Leine länger zu lassen und uns in Bürgerbeteiligung zu üben, die von der Thematik her aufwiegelungs- und verhetzungsresistent ist. Aber warum sind Großparteien wie die SPÖ seit eh und je, die ÖVP bisher und seit neuerem die Grünen so massiv gegen alles, was mit Bürgerbeteiligung zu tun hat? Was fürchten sie?

Die SPÖ ist seit Fußach, Sternwartepark und Zwentendorf schwer abstimmungsgeschädigt. Heute sind wir zwar national-stolz auf diese Entscheidungen, die ein schlagender Beweis für jene Reife des Volkes sind, die vielen Politikern abgeht. Wenn schon abstimmen, dann nur unter Parteisoldaten, unter denen man auf eine Mehrheit der Gehorsamen setzt. Die Wiener Grünen haben dieses Modell kopiert – mit schlechten Erfahrungen, die eine Bereitschaft, sich für irgendeine Form von wirklicher Partizipation einzusetzen, für längere Zukunft nicht erhoffen lässt. Selbst die von Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung vertretene Forderung nach einer bloß konsultativen Partizipation, also einer aktiven Einbindung in die Planung und Durchführung von Projekten, wird reflexartig mit direkter Demokratie in einen Topf geworden, nur um einer sachlichen Diskussion über eine Beteiligung, gegen die es keinen vernünftigen Einwand gibt, ausweichen zu können.

Es wäre ein Treppenwitz der politischen Geschichte, wenn ein Durchbruch zur gelebten Demokratie ausgerechnet unter einer blau-schwarzen Ägide erfolgen würde. Ich fürchte nur, wir werden diesem eher unwahrscheinlichen Szenario nicht entgegenzittern müssen, weil die Angst vor dem Volk in dem Maß zunimmt, in dem die Glaubwürdigkeit gegenüber und die Achtung vor den Politikern schwindet.

Helmut Hofmann