Samstag, 31. Jänner 2015
Alle sind sich einig, dass echte Partizipation nicht von oben gelenkt (top down), sondern nur von der Basis her (bottom up) funktioniere. Doch auf die Frage nach dem WIE herrscht bei den für Bürgerbeteiligung Zuständigen der Stadt Wien tiefe Ratlosigkeit. Radiokolleg als Steigbügel Ö 1 brachte vom 19. bis 22. Jänner 2015 im Radiokolleg eine ausführliche Sendereihe über Bürgerbeteiligung. Sie entpuppte sich rasch als verzweifelter Versuch „von oben“, eine funktionierende Bürgerbeteiligung in Wien vorzutäuschen. Dass sich das Radiokolleg als verlängertes Sprachrohr der beamteten Bürgerbeteiligung hergibt, oder besser gesagt, hergeben muss, ist für Kenner des ORF keine besondere Überraschung. Die Begeisterung der Sendungsgestalter über die wenig aussagekräftige Propagandasendung hielt sich merkbar in Grenzen. Zu abgelutscht waren die Stehsätze, mit denen ausgewählte Vertreter der beamteten Bürgerbeteiligung versuchten, eine funktionierende Wiener Partizipationsszene vorzugaukeln. Fortschrittsresistenz wie im Absolutismus Da war die Rede von Planungsprozessen der öffentlichen Hand, von der 1992 in Rio de Janeiro abgehaltenen Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung und der von ihr verabschiedeten Agenda 21 und vom Verein Lokale Agenda, der zwecks Implementierung dieser Agenda 21 in Wien ins Leben gerufen worden war. Man konnte hören, dass in diesem Verein alle politischen Parteien vertreten seien. Von den Bürgerinnen und Bürgern war dabei nicht die Rede. Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung, deren Gründungsidee die vom Vertreter der Stadt Wien schnöde zurückgewiesene Befreiung der Lokalen Agenda 21 aus den Klauen der Parteipolitik war, kam überhaupt nicht vor. So glaubt man mehr als 100 Bürgerinitiativen mit weit über 100.000 initiativen Bürgerinnen und Bürgern einfach ignorieren zu können – eine wahrlich armselige und kurzsichtige Haltung, die damit rechnet, dass nur der gehört wird, der ungeniert in den großen, von den Bürgerinnen und Bürgern gespeisten Geldtopf greifen kann. Schluss mit Gängeln ! Vergebens sucht man nach konstruktiven Beiträgen der in der Lokalen Agenda 21 vertretenen zahlreichen Politikerinnen und Politiker. Der Beitrag der Politik besteht in der Zulassung von Aktivitäten, deren Beaufsichtigung und Steuerung (in eigenen „Steuerungsteams“), in der totalen Kontrolle und im totalen Liebesentzug (= Versagung jeglicher Unterstützung), wenn sich die Ziele einer Gruppe mit denen der politisch Herrschenden nicht decken. Konkrete Beiträge erwartet man allerdings von der ehrenamtlich tätigen Bevölkerung. Genießen sie das Wohlwollen der Politiker und passen sie in deren parteipolitisches Konzept, dann bekommen sie sogar ein wenig Unterstützung. Dafür gibt in jedem Agenda-Bezirk ein festes Lokal mit festangestellten Kräften, die diese Bürgerbeteiligung verwalten, d. h. Zusammenkünfte moderieren, Protokolle verfassen, für ausreichende Sitzgelegenheiten und Erfrischungen sorgen, Einladungen versenden und vor allem werben, für die Tätigkeiten der einzelnen Agenda-Gruppen, für den Verein Lokale Agenda 21 und für das „bunte Miteinander“, unter dem die Politik offenbar den berauschenden Gipfel funktionierender Bürgerbeteiligung versteht. Frage: was geschieht eigentlich mit dem Geld, das die Stadt Wien von der EU für Bürgerbeteiligung bekommt? Wien: Bürgerbeteiligung „top down“ Die Entscheidung, ob es in einem der 23 Wiener Gemeindebezirke überhaupt eine Lokale Agenda 21 gibt, liegt beim Bezirksvorsteher und der Bezirksvertretung. Die Bevölkerung hat darauf keinerlei Einfluss. Derzeit gibt es in 7 von 23 Bezirken eine Lokale Agenda 21. In 3 Bezirken lief sie aus. 13 Bezirke haben noch nie eine Lokale Agenda 21 gesehen. Wien ist der klassische Fall des Versuchs einer beamteten, parteipolitisch „von oben“ gelenkten Bürgerbeteiligung und das klassische Beispiel für ihr Nichtfunktionieren. Der verzweifelte Versuch, von diesem Totalversagen abzulenken, bescherte der Stadt Wien sozusagen aus dem Hut eine nicht ganz neue Beteiligungsform: BürgerInnenräte. Bürgervorschläge: nicht einmal ignorieren Irgendwann scheint man im Laufe der Jahre eingesehen zu haben, dass es zu den wichtigsten Themen, wie Städtebau- und Verkehrsplanung, durch eine auf nicht einmal ein Drittel der Bezirke beschränkte Beteiligungsform wie der Lokalen Agenda 21 keine Bürgerbeteiligung geben könne. Aktion 21 wurde eingeladen, ihre Vorstellungen von einer wirksamen Bürgerbeteiligung zu übergeben. Diese Übergabe ist vor 2 ½ Jahren erfolgt. Eine Reaktion darauf ist nie erfolgt. In einem der sogenannten „future labs“ hat Aktion 21 auf kurze, launige und allgemein verständliche Art und Weise ihre Vorstellungen von Bürgerbeteiligung in Wien samt einem zukunftsweisenden Beispiel für echte Innovation im städtischen Verkehr eingebracht. Die Reaktion darauf: null. Wien imitiert Vorarlberg Dafür holte man das für Wien wohl ungeeignetste Beteiligungsmodell, das sich zwar in kleineren Gebietseinheiten wie Vorarlberg und seinen Gemeinden bewähren mag, in Großstädten jedoch keine berauschenden Erfolge vorzuweisen hat. Real dahinter steckt ein unbeholfener Versuch, 4 Jahre Partizipations-Stillstand im Bürgerbeteiligungsamt der Stadt Wien durch eilige Inszenierung eines Räte-Modells aus der Welt zu schaffen. Nach der mit vielen versäumten Gelegenheiten gepflasterten Beteiligungssackgasse der Stadt Wien – Stichworte Lokale Agenda 21, Augarten, Parkpickerl, Mahü, Otto Wagner-Spital, STEP und WEV-Areal - griff man in der Millionenstadt ausgerechnet in der allerletzten Phase des STEP zu einer Beteiligungsfigur, die in keiner Großkommune von durchschlagendem Erfolg gekrönt war. Es mag sein, dass sich solche Räte da und dort bei sonst funktionierender Beteiligung als praktikable Fortsetzung eines erfolgreich eingeschlagenen Weges erweisen. In Wien in der Schlussphase des STEP ausgerechnet mit einer noch dazu gelenkten Zufallsauswahl von Räten zu beginnen und dabei zu behaupten, dieser BürgerInnenrat habe als „Instrument für den Stadtentwicklungsplan“ gedient, ähnelt einer unverfrorenen Augenauswischerei, die über die bisherigen auf Unfähigkeit oder Absicht zurückzuführenden Versäumnisse hinwegtäuschen soll. Bürgerbeteiligung ohne Bürger? Die Bevölkerung – ja, die spielte dabei eine untergeordnete Rolle, die ihr eben zugedachte Rolle der für jeden schlechten Film notwendigen Statisten. Für die Erarbeitung eines Beteiligungsmodells, wie dies etwa in Salzburg erfolgreich demonstriert wurde, gibt es in Wien nach 4 Jahren Beteiligungsverantwortlicher immer noch keinen Dialog mit den Bürgern, geschweige denn ein Konzept. Offenbar ist dieses undiskutabel, wenn es von „unten“, von den Bürgerinnen und Bürgern, kommt. Von „unten“ kann doch in einem Obrigkeitsstaat nichts Brauchbares kommen, oder? Helmut Hofmann |