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Lügen wie gedruckt


Samstag, 14. März 2015

In der vom Zukunftsressort der Stadt Wien 2014 verfassten Hochglanzbroschüre „Wien – Innere Stadt Weltkulturerbe und lebendiges Zentrum“ wird eine um den Wienfluss gelegene Zone als „im 2. Weltkrieg weitgehend zerstörter“ Bereich ausgewiesen.

Wer immer für diese Darstellung (auf S. 46) als Urheber zeichnet, kann diese Entgleisung nicht mit Irrtum oder Unwissenheit entschuldigen. Sogar gegen grobe Fahrlässigkeit spricht die Überlegung, dass ein kurzer Rundgang ohne jegliche historischen Kenntnisse genügt hätte, um die Unhaltbarkeit der Aussage festzustellen. Außerdem gibt die Schraffierung die Zerstörungen im Bereich des Donaukanals so exakt wieder, dass man schon daran eine gewisse historische Fachkundigkeit erkennen kann.
Bei der Frage, warum hier offensichtlich Tatsachen gefälscht wurden, landet man nämlich ohne viel Umschweife beim umstrittenen Intercontinental-Eislaufverein-Projekt. In der Stellungnahme des Zukunftsressorts von VBM Vassilakou zu der dagegen eingebrachten, vom Petitionsausschuss abgeschmetterten Petition heißt es nämlich: "... wurde das städtebauliche Umfeld entlang des Wienflusses ebenfalls durch Kriegseinwirkungen stark in Mitleidenschaft gezogen...“. Dies sollte als Rechtfertigung dafür dienen, dass der Bau eines Hochhauses an der vorgesehenen Stelle die ohnedies durch Kriegseinwirkungen zerstörte historische Umgebung nicht (mehr) beeinträchtigen könne. Aber „nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen“ besagt ein altes Sprichwort.

Kleine zeitgeschichtliche Nachhilfe

Der Donaukanal war im April 1945 mehrere Tage lang Hauptkampflinie, was zur weitgehenden Zerstörung des linken, von der deutschen Wehrmacht gehaltenen Ufers geführt hat, während das von der Roten Armee eroberte rechte Ufer nur wenige schwere Schäden davongetragen hat. Der Grund dafür lag hauptsächlich darin, dass es der schon unter Auflösungserscheinungen leidenden deutschen Wehrmacht an Munition und schweren Waffen mangelte und sie auch keinen strategischen Sinn darin sehen konnte, ein Ufer zu zerstören, dessen Wiedereroberung ohnedies utopisch geworden war.
Die Uferverbauung des Wienflusses weist – vom Donaukanalufer abgesehen - in dem schraffierten Bereich nicht ein einziges durch Kriegseinwirkungen zerstörtes Gebäude auf. Die einzigen Bauwerke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stehen auf den Arealen nach 1955 abgerissener Gebäude: der Fleischmarkthalle und des Bürgertheaters (samt dem diesem benachbarten Otto Wagner-Stationsgebäude Hauptzollamt). Beide Gebäude waren noch lange Jahre nach dem Krieg intakt und voll in Betrieb.
Auch im weiteren schraffierten Umfeld, das sich auf den Bereich zwischen Ringstraße und Hintere Zollamtstraße/Invalidenstraße/Heumarkt erstreckt, gab es nur wenige nennenswerte Kriegsschäden. Die meisten Neubauten, vor allem jene im Bereich Wien Mitte, stehen auf vorher unverbauten Arealen oder anstelle intakter, gleichwohl abgerissener Gebäude; das Hotel Intercontinental selbst zählt dazu. Es grenzt in der Tat an ein Wunder, dass die Umgebung des großen innerstädtischen Verschubbahnhofes Hauptzollamt (heute Wien Mitte) nicht mehr Zerstörungen durch Fliegerbomben zu verzeichnen hatte.

Falschdarstellung für jeden überprüfbar

All dies kann auch heute noch prüfend nachvollzogen werden, weil vor 1945 errichtete Gebäude an ihrem Zeitstil erkennbar sind und im Fall ihrer Zerstörung nach 1945 nur in wenigen Ausnahmefällen unter Bewahrung der stilistischen Eigenheiten wiederhergestellt wurden. Für die auf das urbane Erscheinungsbild abstellende Argumentation des Planungsressorts wäre dies zudem irrelevant, weil das Stadtbild in solchen Fällen nicht beeinträchtigt wäre. Nur der äußerlich erkennbare, stilfremde Wiederaufbau eines im Krieg zerstörten Gebäudes könnte daher die Aussage des Planungsressorts stützen. Den aber muss man entlang des Wienflusses mit der Lupe suchen.

Warum lügen?

Man fragt sich also, aus welchem Grund derartige Tatsachenfälschungen in gedruckten Repräsentativbroschüren der Stadt Wien aufscheinen. Die Antwort kann aus diesem Machwerk selbst abgelesen werden. Zunächst sei daran erinnert, dass man um die Schwierigkeiten Bescheid weiß, den beabsichtigten Projektbau in der Kernzone des kulturellen Welterbes Innere Stadt Wien bei UNESCO und ICOMOS zu rechtfertigen. Da muss man mit „Korrekturen“ der Wahrheit ein wenig nachhelfen. Dabei gilt die Überlegung: „die merken das ohnedies nicht“. Der Trick ist einfach: auf Seite 15 werden 15 Beispiele für zeitgenössische Architektur abgebildet und auf den folgenden 20 Seiten ausführlich einzeln präsentiert. 14 davon sind gebaute Realität, eines davon noch nicht: erraten, es handelt sich um ein Rendering des Intercontinental-Eislaufverein-Projekts, das so geschickt placiert ist, dass man es mangels deutlichen Hinweises darauf, dass es sich um ein Rendering handelt, als gebaute Architektur vorwegnimmt. Es fügt sich – zumindest in der Broschüre – in das „städtische Umfeld“ der übrigen Neubauten ein, so verstreut diese auch auf die gesamte Innenstadt sein mögen, und stört demnach zumindest in der kruden Theorie der Stadtverantwortlichen nicht im geringsten das aufgrund der angeblichen Kriegsschäden ohnedies nicht mehr erhaltene historische Stadtbild der Projektumgebung.

Ein reales Phantom

All das fügt sich als Mosaikstein in eine raffiniert ausgeklügelte Rechtfertigung des Projektes, das in einem „innovativen kooperativen ExpertInnenverfahren“, auch „kooperatives Dialogverfahren“ genannt, von Grundeigentümer, „Stakeholdern“, ExpertInnen unterschiedlichster Wissenschaftsdisziplinen und „ExpertInnen der Stadt Wien“ gemeinsam entwickelt wurde, wie in der Stellungnahme des Planungsressorts der Versuch, gemeinsam mit dem Bauwerber rechtliche, faktische und politische Hindernisse mit allen Mitteln aus dem Weg zu räumen, phantasievoll und blumig umschrieben wird.

Grobe Schönheitsfehler

Das Ergebnis des „kooperativen Dialogverfahren“, das – weniger geschwollen – in der strategischen Einbettung des Projektentwurfes in eine Reihe von in Wahrheit völlig unverbindlichen „Masterplänen“ besteht, weist grobe Schönheitsfehler auf. So enthält der Entwurf zum Masterplan Partizipation einige Vorgaben, die auf ein striktes „no go“ für das Projekt schließen ließen. Ließen, aber nicht lassen, denn der Masterplan gilt nach Aussage der Ressortleiterin nicht für Projekte, deren Planung schon (zu) weit fortgeschritten ist. Perfektes timing also: baureife Planung, dann erst öffentlich präsentierter “Entwurf” des Masterplans Partizipation, der, wenn er dem Gemeinderat irgendwann zum Beschluss vorgelegt werden wird, auf das bereits Geplante nicht mehr anwendbar sein wird. Auf künftige Projekte wohl auch nicht, denn für die wird es vermutlich wieder einen neuen Masterplan und ein neues Hochhauskonzept geben, das so wie das erst 12 Jahre alte frühere jeweils dann gekübelt wird, wenn es einer neuen Bauplanung nicht entspricht.

Investorenwille als Planungsgrundlage?

Was dabei nicht bedacht wurde: wie können Planungen schon so weit gediehen sein, dass man sie nicht mehr partizipativ diskutieren darf, wenn es für das Bauvorhaben noch nicht einmal eine einigermaßen passende Flächenwidmung gibt? Eine Flächenwidmung, zu der die Öffentlichkeit Stellung beziehen darf, nachdem das Projekt längst geplant und im stillen Kämmerlein „innovativ und kooperativ“ abgesegnet worden ist? Sind wir wirklich schon so korrupt, dass sich in Wien nicht die Bebauung nach einer das öffentliche Interesse spiegelnden Flächenwidmung, sondern umgekehrt die Widmung nach schon ausgearbeiteten Bauplänen richtet? Werden so die vom Volk in den Gemeinderat gewählten Mandatare zum Stimmvieh degradiert, das zu einem im „kooperativen Dialogverfahren“ ausgepackelten Bauplan den gesetzlich vorgeschriebenen Sanktus gibt? Entscheiden in Wien nur noch die Bauwerber, was sie bauen dürfen, vorausgesetzt sie haben das viele Geld, das bei Projekten einer gewissen Größenordnung die entscheidende Rolle spielt? Wo bleibt da der Rechtsstaat? Hat hier etwa die demokratische Hygiene dringenden Handlungsbedarf?

„Vorweggenommene Planung“

wäre wohl die richtige Bezeichnung für die in Wien eingerissene üble Unsitte, ungeachtet irgendwelcher (im öffentlichen Interesse erfolgten) Widmungen gegen alle bestehenden Vorschriften verstoßende Bauvorhaben zu planen, zu planen mit allem drum und dran, Statik, Umweltverträglichkeit, Verkehrsfolgen, detaillierte Gutachten dazu erstellen zu lassen (wobei die Gutachter wohl wissen, dass es an den Grundlagen für das zu begutachtende Bauwerk mangelt) und auf die rechtlich unzulässigen, nichtsdestoweniger politisch verlässlichen Zusagen hoher und höchster Amtsträger zu vertrauen, dass es die schon „richten“ würden, wenn nötig unter Zuhilfenahme von Gemeinderatsmehrheiten. Man darf es nicht aussprechen, schon gar nicht schreiben, was sich der Bürger von diesem „sich’s richten“ denkt. Man muss es auch gar nicht aussprechen, es dürfte sich ohnedies schon herumgesprochen haben, spätestens seit Karl Kraus’ Die letzten Tagen der Menschheit.
Reinhard Seiss hat vielen blauäugigen Bürgerinnen und Bürgern die Augen geöffnet. Sein Buch WER BAUT WIEN? ist zu einem Long- und Bestseller geworden. Auf gewisse Vertreter der Obrigkeit hat es dennoch keinen besonderen Eindruck gemacht. Sie scheren sich um nichts, nach dem Grundsatz (nach Wilhelm Busch): „Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Jedenfalls bis zu den nächsten Wahlen.

Helmut Hofmann
"all dies kann auch heute noch prüfend nachvollzogen werden" 
von Wienwähler am 2015-03-14 um 23:14 Uhr
die Frage ist nur, wer das macht! das Planungsressort im Rathaus wahrscheinlich nicht.
Wer macht es? 
von Hofmann Helmut am 2015-03-15 um 07:06 Uhr
Mein Hinweis, dass das alles prüfend nachvollzogen werden kann, richtet sich an alle, die es nicht glauben (wollen). Ich meine, ein halbstündiger Rundgang genügt um festzustellen, dass nach 1945 an Stelle von im Krieg zerstörten Bauten errichtete Neubauten nur ganz vereinzelt zu sehen sind. Fast alle Neubauten sind auf Abrisse nach 1950 zurückzuführen oder über Freigrund (vorwiegend Bahngrund und Parkflächen) gebaut worden. Das Alter kann man aufgrund des (stilistischen) Erscheinungsbildes unschwer erkennen. Wiederaufgebaute kriegszerstörte Objekte wurden nahezu ausschließlich in der (billigen), früher so genannten "Emmentalerarchitektur" (glatte, schmucklose, ungegliederte Fassaden, einfache Fenster) gebaut. Zwei Beispiele sind auf der linken Seite der Landstraßer Hauptstraße unmittelbar nach der Kreuzung mit der Invalidenstraße zu sehen. Im Unterschied zum Donaukanal handelte es sich nicht um Zerstörungen durch Kampfhandlungen (wie etwa auf dem Rochusplatz), sondern um Bombentreffer. Die Schraffierung des linken Donaukanalufers entspricht den weit über 50% der früheren Gebäude entsprechenden Zerstörungen. Die Schraffierung entlang des Wienflusses ist ein schlechter Scherz.
leider ist es halt einfacher, in eine Hochglanzbroschüre irgendetwas hineinzuschreiben, 
von JK am 2015-03-17 um 22:48 Uhr
als so einen halbstündigen Rundgang zu machen....
Warum lügen? LÜGEN! 
von CR am 2015-03-15 um 10:51 Uhr
Herzl. Dank für diese glasklare Analyse - das Aufdecken der schamlosen LÜGEN, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufgetischt werden!
Das ist eine ABRECHNUNG 
von Robert R. am 2015-03-16 um 08:47 Uhr
Danke. Hervorragend.
die Frage ist nur, wen das interessiert! 
von Beobachter am 2015-03-17 um 22:49 Uhr
die Stadtplanung anscheinend nicht.