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AKWs als Ziele terroristischer Angriffe


Donnerstag, 7. Juli 2016

Der Wissenschaftliche Beirat zu Globalen Umweltfragen, der die deutsche Bundesregierung berät, hat Gefahren und Risiken zu Gruppen zusammengefasst und ihnen Namen gegeben:

Risikotyp „Pythia“ für diffuse Risiken, z.B. die Gentechnik, „Kassandra“ für Risiken mit hoher Verzögerungswirkung, z.B. der Klimawandel. Die Risikoklasse, in der sich die Atomkraft findet, heißt „Damokles“, charakterisiert durch hohes Schadensausmaß und geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Man versuchte, das Risiko einer atomaren Katastrophe mathematisch zu erfassen, und heraus kam eine Zahl mit einer Null vor dem Komma und vielen Nullen dahinter. Technische Panne oder menschliches Versagen. So einfach war das. Das war in der Zeit, bevor man kombinierte Umwelteinflüsse (z.B. Erdbeben und Tsunami) als Risiko erkannte (zur Erinnerung: Die Reaktion darauf waren die berühmten „Stresstests“ in der EU, und kein einziger Atomreaktor erfüllte alle Sicherheits-Anforderungen!), und, in jüngster Zeit, die Gefahren des islamistischen Terrors. Man müsste nach den neuesten Erkenntnissen die Atomkraft in die Gruppe „Zyklop“ einordnen: hohes Schadensausmaß und ungewisse (!) Eintrittswahrscheinlichkeit.

Folgend einige relevante Vorkommnisse:
Einer der Attentäter vom 11. September 2001 wollte das AKW Indian Point 40 km nördlich von New York angreifen. Die anderen Piloten lehnten das ab, weil sie fälschlicherweise annahmen, der Luftraum über dem AKW sei gut gesichert.

Ein im Jemen lebender US-Bürger mit Kontakten zu einem berüchtigten Al-Qaida-Anwerber arbeitete zwischen 2002 und 2008 für fünf US-amerikanische AKWs.

2014: Im belgischen AKW Doel, in Block 4, liefen 65.000 Liter Schmieröl aus, die Turbinenachse erhitzte sich bis zur Verformung. Sabotage. Keine Spur von den Tätern. Zwei Sicherheitstechniker, jahrelang im dortigen Hochsicherheitsbereich tätig, verschwanden 2012 nach Syrien, um für den IS zu kämpfen.

2014: Im Herbst flogen insgesamt mehr als 30 Drohnen über belgische und französische AKWs. Keine Hinweise, von wo sie kamen und wer sie gesteuert hat. Einige davon hatten Maße, die den Transport kleinerer Mengen Sprengstoff erlaubt hätten.

November 2015: In einer Brüsseler Wohnung werden zehn Stunden Videomaterial einer Überwachungskamera vor dem Haus des Direktors des Zentrums für Nuklearenergie gefunden. Dieses Zentrum betreibt auch den Forschungsreaktor BR2, der mit hoch angereichertem Uran betrieben wird, mit dem man Atom-bomben bauen kann. Die Männer, die die Kamera abmontiert hatten, sind die Selbst-mord-Attentäter vom Brüsseler Flughafen.

Diese Meldungen belegen ein beträchtliches Interesse islamistischer Terroristen an Nukleartechnik. Denkmögliche Formen von Angriffen auf AKWs sind: gezielter Flugzeug-Absturz, Drohnen, Hubschrauber-Angriff, gezielter Crash eines Flüssiggas-Tankers, Sabotage durch Täter im AKW-Inneren, Attacke übers Internet. Nicht zu vergessen tragbare panzerbrechende Lenkwaffen, wie sie Russland an die syrische Armee geliefert hat. Einige davon sind in die Hände des IS gefallen. Diese Waffen durchbrechen jede Reaktorwand. Außerdem gibt es mittlerweile einen regelrechten Schwarzmarkt für Nuklear-Materialien, der Hauptumschlagplatz dürfte Moldawien sein. In den letzten fünf Jahren konnten vier Verkäufe an Extremisten aus dem Mittleren Osten vereitelt werden. Niemand weiß, wie hoch die Dunkelziffer ist.

Pandoras nukleare Büchse lässt sich nicht mehr schließen. Aber jeder abgeschaltete Atomreaktor verringert das Risiko eines terroristischen Angriffs.

nach einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, 24. 4. 2016

Text: Joschi Arbeithuber für die „Wiener Plattform Atomkraftfrei“