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60 Jahre Euratom


Samstag, 27. Mai 2017

m 25. 3. 2017 jährte sich zum 60. Mal der Jahrestag der Unterzeichnung der sogenannten „Römischen Verträge“, aus denen sich die EU entwickelt hat.

Aus diesem Anlass traf sich am 25. April in Linz internationale Experten bei der Nuclear Energy Conference und setzten sich mit den verschiedenen Aspekten des Vertrages auseinander. Die Ergebnisse sind hochinteressant und spannend: www.nec2017.eu

Der Krieg war noch nicht lange vorbei; unter dem Eindruck des Ausmaßes der Verwüstungen beschloss man, eine Struktur zu schaffen, die es einzelnen Staaten (besonders den großen) in Zukunft unmöglich machen sollte, im Alleingang einen Krieg gegen die Nachbarn vorzubereiten, und man vergemeinschaftete die wichtigsten kriegsnotwendigen Industrien: Kohle und Stahl. Der Wiederaufbau des vom Krieg Zerstörten war eine Notwendigkeit und eine große Möglichkeit: Wirtschaftswachstum, Wohlstand (selbst geschaffen, allerdings mit US-amerikanischer Starthilfe), und als große Neuerung: die Atomkraft, deren gewaltige Macht man kurz vor Kriegsende an den beiden Atombomben erkannte, die über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden und deren Vernichtungswellen alles überstiegen, was man bis dahin von Kriegswaffen kannte. Dass man diese neuartige und so ergiebige Kraft auch zur Stromerzeugung verwenden konnte, löste eine derartige Euphorie aus, dass die führenden Experten in den USA prophezeiten, dass man keine Stromzähler mehr brauchen werde, denn dieser Strom sei „too cheap to meter“ (d.h. so billig, dass sich das Stromzählen nicht lohnt).

Also eine technikgläubige Aufbruchsstimmung, was die neuentdeckte Atomkraft betrifft; und weil diese Kraft eben auch in den schrecklichsten Waffen eingesetzt werden konnte, beschloss man, auch diesen Bereich in die neue staatenübergreifende Struktur einzubauen.

Und so entstand EURATOM, der Vertrag, der sehr genau die oben geschilderten Zeitverhältnisse widerspiegelt: Bereits in der Präambel ist die Schaffung einer starken europäischen Atomindustrie als primäres Ziel genannt.

Während allerdings die beiden anderen Verträge (Wirtschaftsgemeinschaft, Gemeinschaft von Kohle und Stahl) von den EU-Mitgliedsstaaten weiterentwickelt wurden und so die veränderten Bedingungen, Bedürfnisse und Machtverhältnisse abbildeten, blieb der EURATOM–Vertrag so, wie er war, obwohl folgenschwere Ereignisse und wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Anpassung an die veränderte Situation hätten führen müssen: beispielsweise das bis heute ungelöste Problem des sogenannten „Atommülls“ (das ist in Wahrheit ein verharmlosender Ausdruck, denn er suggeriert, dass er ungefähr so einzuschätzen ist wie unser Hausmüll, und den haben wir ja alle, nicht wahr?
Den trennt und sortiert man ordentlich, dann wird er auf die Deponie gebracht, dort kompostiert oder verbrannt, und dann ist er weg), das zu so absurden Situationen führt wie der, dass man sich allen Ernstes bemüht, Orte zu finden, die auf Jahrhunderttausende (!!!) unverändert bleiben, um dort das strahlende Material zu lagern, auf dass es die Erdoberfläche nicht unbewohnbar mache; so weit hat uns diese „Pest unserer Tage“ (siehe Schlagzeile) gebracht.

Das könnte einen schon stutzig machen: Warum verändert man eine so hochbrisante Sache wie den EURATOM-Vertrag nicht, wenn doch so viele Gründe dafür sprechen? Wo doch die Atomkraft die teuerste Art der Stromerzeugung ist, die Erneuerbaren Energien schaffen das mittlerweile viel billiger, abgesehen von all den anderen Problemen, die die Atomkraft verursacht?

Wir kommen hier zu einem Aspekt, der die Komplexität und Brisanz der Materie zeigt: Weil hinter der sogenannten „zivilen“ Nutzung der Atomkraft (das ist ein beschönigender Ausdruck) militärische Interessen stehen. Sehr vereinfacht gesagt, entsteht in den AKWs das atomare Material für Atomwaffen. Deshalb haben Staaten ein strategisches Interesse an AKWs. Und EURATOM hilft ihnen dabei, den Brennstoff zu organisieren, betreibt Forschung zu Technik und Sicherheit von AKWs, vergibt Kredite aus dem Geld der Beitragszahlungen der EU-Mitgliedsstaaten, ermöglicht Subventionen wie unlängst bei Hinkley Point C/Großbritannien und demnächst beim AKW Paks/Ungarn und hilft auch sonst mit Rat und Tat, wie es im Vertrag vorgesehen ist.

In diesem Bereich geht es um enorm viel Geld. Uns ist das nur nicht bewusst, weil Krieg und Kriegsvorbereitung in ihrer konkreten Form in unserer Lebensrealität nicht vorkommen, sondern nur gelegentlich in einer Zeitungsmeldung. Und ein großer Teil des Geldes ist in Wirklichkeit Rüstungsgeld, weil eben, wie oben erläutert, die „friedlichen“ AKWs Material für die Kriegsindustrie liefern. Die Rüstungsindustrie zählt weltweit gesehen zu den mächtigsten Playern. Ihren Entscheidungsträgern ist es sehr recht, dass es mit dem EURATOM-Vertrag ein Instrument gibt, das ihnen so großzügig zuarbeitet und das man der Bevölkerung sogar noch als Instrument des Friedens verkaufen kann. Und deshalb bleibt dieser Vertrag, der eine starke europäische Atomindustrie fordert, unverändert bestehen, deshalb werden auf Vertragsebene keine Konsequenzen aus den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima gezogen, deshalb ist der EURATOM-Vertrag rechtlich nicht Teil der EU und wie im Jahr 1957 der parlamentarischen Kontrolle entzogen (Krieg und Kriegsvorbereitung mögen keine demokratische Kontrolle), deshalb erfahren wir nicht, wie viel Geld tatsächlich in die EURATOM-Töpfe fließt und wer dafür die Verantwortung trägt. Es scheint, dass das Projekt EU, das als Friedensprojekt konzipiert und umgesetzt wurde und diesbezüglich eine Erfolgsgeschichte ersten Ranges darstellt (denn wir haben seit 1945 Frieden), eine fatale Kehrseite hat. Atomkraft und atomarer Vernichtungskrieg gehören zusammen. Wer für Atomkraft ist, stimmt auch der potentiellen Zerstörung unserer Welt zu.

Text:
Joschi Arbeithuber
für die „Wiener Plattform Atomkraftfrei“