AKT!ON 21

Der neueste Tiefschlag unserer Stadtverantwortlichen


Samstag, 10. Februar 2007

Am 9. Februar 2007 ließ das Marktamt der Stadt Wien allen Marktstandinhabern einen mit 7. Februar 2007 datierten Brief folgenden Inhalts aushändigen:

„Betrifft: Schließung des Landstraßer Marktes

Sehr geehrte Marktunternehmer/innen!

Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass die Landstraßer Markthalle geschlossen werden muss.

Neben betriebswirtschaftlichen (jährlicher Abgang: ca. 1,4 Mio €) und technischen (Kosten einer Sanierung: 10-20 Mio €) Gründen ist für diese Entwicklung auch die Errichtung des Projektes „Wien-Mitte“ unter anderem mit einem Einkaufszentrum durch die “Salima“ WIEN-MITTE Projektentwicklung GmbH, kurz: „Salima“ mit entscheidend.

Die „Salima“ beabsichtigt den Kauf der Liegenschaft, auf dem sich die Markthalle befindet und wird ab Frühsommer 2007 mit Ihnen in Ablöseverhandlungen treten. Die Stadt Wien wird Gespräche mit der Wirtschaftskammer hinsichtlich möglicher Ersatzstandorte führen.
Uns bleibt nur, Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihren Einsatz und für Ihr Engagement in der „Halle“ zu danken und Ihnen alles Gute für die Zukunft zu wünschen.

Ihre MA 59 – Marktamt.“

Die Stadt Wien schließt, ohne mit den Betroffenen und ihren Kunden überhaupt darüber zu reden, den größten Hallenmarkt Wiens. Ganz einfach so, als handle es sich dabei um ein unabwendbares Naturereignis. Wenn man die Gründe dafür als unabänderlich ansieht. Die da sind:

· jährlicher Abgang: ca. 1,4 Mio €: das wäre für ein privatwirtschaftliches Unternehmen wohl ein Grund zur Schließung. Aber für ein kommunales? Seit wann arbeiten – noch dazu sozialistisch dominierte – kommunale Einrichtungen mit Vollkostendeckung? Kann sich eine Gemeinde unter dem Vorwand mangelnder Rentabilität aus ihren öffentlichen Verpflichtungen einfach so davonstehlen? Sind die nicht gerade unbeträchtlichen Steuermittel, die sie Jahr für Jahr lukriert, nur dazu da, einen aufgeblähten Verwaltungsapparat zu finanzieren, auf den sich die öffentlichen Ausgaben nach und nach zu reduzieren scheinen? Die Rezeptur scheint einfach: man greift zur sonst vielgeschmähten Privatisierung öffentlicher Aufgaben und überlässt es dann dem neuen „Eigentümer“ (der natürlich de facto kein anderer ist als vorher, nur kommt er in einem anderen, einem „privaten“ Rechtsgewand daher), unrentable Aktivitäten einfach aufzugeben. Was bei den Polizeiwachstuben, bei den Postämtern begonnen hat, wird bei den Märkten und bei der Schließung unrentabler Verkehrswege fortgesetzt, um schließlich bei unrentablen Kliniken zu landen. Die Bürgerinnen und Bürger, die laufend höheren finanziellen Belastungen ausgesetzt werden, rennen in diesem ausweglos scheinenden Rentabilitätskäfig wie die Ratten hin und her und gelangen schließlich zur Einsicht, dass sie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit haben, zur Entlastung der armen Kostenträger rechtzeitig zu sterben. Rechtzeitig heißt hier: frühzeitig. Weil das Pensionssystem ja auch nicht mehr kostendeckend ist.

· Eine Sanierung käme zu teuer: das mag sein. Nur stellt sich da die Frage: warum hat die Stadt Wien jahrelang, jahrzehntelang zugesehen, wie die Markthalle herunterkommt? An den Marktstandinhabern kann es wohl nicht liegen, deren Verträge sind so wasserdicht, dass jede Verwahrlosung zu einem Hinausschmiss führen könnte. Der Fisch stinkt bekanntlich immer vom Kopf: da wurde in berüchtigter Spekulantenmanier verabsäumt, für die notwendigen Erhaltungsarbeiten zu sorgen. Zwei Fliegen mit einer Klatsche: zuerst spart man dabei Geld und Kosten, was sich auf das finanzielle Jahresergebnis positiv auswirkt, und dann, wenn es im wahrsten Wortsinn zum Himmel stinkt, ertönt der laute Ruf nach dem Abriss, um die Grundspekulation erfolgreich zu Ende zu führen.

· Stichwort Grundspekulation: hatte es jahrelang geheißen, die Markthalle werde vom Projekt Wien-Mitte nicht berührt, ist die beabsichtigte Errichtung eines Einkaufszentrums plötzlich mitentscheidend für die Hallenschließung. Ob der Grund dafür darin liegt, dass die Bauträgergesellschaft „SALIMA“ die enormen Aussiedlungskosten für den INTERSPAR durch Zwischenlagerung in der Markthalle reduzieren will, ob er darin liegt, INTERSPAR für die Entwicklung des riesigen Einkaufszentrums zu gewinnen, nachdem SONAE West abgesprungen ist, ob damit auch die Bedingung verknüpft ist, zusätzliches Areal für Verkaufsflächen zu schaffen und gleichzeitig der INTERSPAR-Konkurrenz Markthalle das Wasser abzugraben, INTERSPAR somit eine weiträumige Monopolstellung auf dem Lebensmittelsektor einzuräumen – mit einigen geduldeten Spezialgeschäften als kundenbringenden Satelliten – die Wahrheit sollt ihr nie erfahren – jedenfalls nicht rechtzeitig, so lange „der Zug noch nicht abgefahren ist“.

Jetzt wissen wir endlich, wer Wien regiert. Nicht die Stadtverwaltung, nicht die gewählte Stadtregierung. Die „Developer“ regieren die Stadt. Sie bestimmen, welche öffentlichen Einrichtungen erwünscht sind, welche nicht. Sie kaufen das Areal Wien-Mitte von den ÖBB, und diese dürfen dann noch fahren und einen Bahnhof betreiben. Unterirdisch sozusagen. Nur: wenn man ein wenig hinter die Kulissen blickt, dann wird man mit Staunen feststellen, dass die bevorzugten Developer, welche die Großprojekte in der Stadt entwickeln, von der Stadtregierung und deren Dunstkreis gar nicht so weit entfernt sind. Alle Fäden laufen in der Wien-Holding zusammen, jenem kapitalistischen Großkonzern, den ein genialer Konstrukteur und langjähriger Finanzreferent der Stadt Wien zu dem gemacht hat, was er heute ist: dem einflussreichsten Wirtschaftsfaktor der Bundeshauptstadt.

Wen schert angesichts solcher Elementarereignisse schon die Existenz von einigen Dutzend Marktstandinhabern? Wen schert da die Existenz einiger hundert ihrer Angestellter? Und wen die Nahversorgung von ein paar tausend Menschen, denen man damit ein gutes Stück ihrer Lebensqualität nimmt? Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Halle geht und die Menschen beim Einkaufen beobachtet, der muss schon vor sozialer Kälte triefen, wenn er (oder sie) cool und gleichgültig die Sperrstunde ausruft für eine Institution, die trotz jahrelangen Totschweigens immer noch für so viele Kunden attraktiv ist, dass viele der Händler auch höhere Mieten in Kauf nehmen würden, wenn man sie nur danach fragen würde.
Doch die Halle ist nicht rentabel. Ach ja. Weil die Grundstückspreise im innerstädtischen Bereich so hoch geworden sind, dass sich, wenn der Grundkostenanteil in die Miete eingerechnet wird, nur noch internationale Ketten Geschäfte vor Ort leisten können. Und um an die vermieten zu können, muss die Halle zuerst von den „Billigmietern“ „gesäubert“ werden. Vor allem von den Ausländern, die dort in den letzten Jahrzehnten die kulinarische Szene ungemein bereichert haben. Was passiert, wenn diese Heuschrecken einmal nicht genug Weideland zum Abgrasen vorfinden werden? Die Antwort darauf, gibt ganz allein – nein, nicht der Wind, sondern das weiland hochgepriesene, vor etlichen Jahren als Schandfleck abgerissene AEZ, dem schon einmal Markthallen hatten weichen müssen.
Trotzdem: der Markt muss weg. Die Frage bleibt: welcher wird der nächste sein? Am Brunnenmarkt gärt es bereits. Und statt des Naschmarkts sähe so manche/r Gemeindepolitiker/in lieber eine große Garage. Denn zu essen haben wir ohnedies genug, nur Parkplätze gibt es zu wenige.

Helmut Hofmann
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