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Der neue Rational-Sozialismus lässt grüßen


Mittwoch, 14. März 2007

Der neue Rational-Sozialismus lässt grüßen

Mit sozialer Eiseskälte, die Existenz vieler Kleinstunternehmer und ihrer Angestellten, die Bedürfnisse vieler Wiener und Wienerinnen mit Füßen tretend, besorgt eine knappe parlamentarische Mehrheit in Wien mit einem beispiellosen Zynismus die Geschäfte eines Großkonzerns, der die Stadt seit Jahren fest im Würgegriff hat. Die Rede ist von der „Endlösung“ der Landstraßer Markthalle.

Beibehaltung des Marktes zugesagt

Jahrelang hieß es sowohl seitens der Projektbetreiber als auch der regierenden Stadtpolitiker, die Markthalle bleibe von der Verbauung des Areals Wien-Mitte unberührt. Auch nach der Neuauflage des Flächenwidmungsplanes 2003, in welchem das Gebiet der Markthalle ausdrücklich als Marktgebiet ausgewiesen ist (!), änderte sich nichts daran. Allerdings deutete die zweifache Durchwegung in ost-westlicher Richtung, die im Fall eines Umbaus des Hallengebäudes zu beachten wäre, darauf hin, dass in fernerer Zukunft mit einer baulichen Änderung der Markthalle gerechnet werden müsse.
Anfang des Jahres tauchten verschiedentlich Gerüchte auf, die vom Bezirksvorsteher-Stellvertreter DI Zabrana dahin kommentiert wurden, dass die Markthalle in der derzeitigen Form und im derzeitigen Zustand nicht bestehen bleiben würde und dass eine Anpassung an die Anforderungen eines modernen Marktes erfolgen solle. An eine Auflassung sei allerdings nicht zu denken, schon deshalb, weil sonst die Fleischversorgung in einem Großteil des Bezirkes nicht mehr gewährleistet wäre.
Ende Jänner 2007 verdichteten sich die Gerüchte, die Halle werde während der Bauzeit von Wien-Mitte als Ausweichquartier für Interspar frei gemacht werden. Dies wurde seitens der Bezirkspolitik entschieden verneint.

Zusage gebrochen

Am 09. Februar 2007 erhielten sämtliche Marktstandinhaber der Landstraßer Großmarkthalle aus heiterem Himmel vom Marktamt der Stadt Wien die lakonische Mitteilung, „dass die Landstraßer Markthalle geschlossen werden muss.“ Keine Vorankündigung, keine klärendes Gespräch, keine Begründung außer vagen „betriebswirtschaftlichen (jährlicher Abgang ca. 1,4 Mio €) und technischen (Kosten einer Sanierung 10-20 Mio €) Gründen“ sowie der Errichtung eines Einkaufszentrums im Projekt Wien-Mitte (!). Damit wurde erstmals der Zusammenhang zwischen dem Großprojekt und dem Schicksal der Markthalle offiziell eingestanden und gleichzeitig als vollendete Tatsache hingestellt. Dabei wurde darauf spekuliert, dass man gerade die wirtschaftlich schwächeren Standler mit dem Wink einer vagen Ablöse zur Aufgabe zwingen könne, so dass auch den anderen nicht viel mehr übrig bleiben würde, als das Handtuch zu werfen. Dass dabei nicht nur viele der rund 60 Standlerexistenzen, sondern auch die sonst sicheren Arbeitsplätze von rund 250 Angestellten vernichtet würden – wen kümmert’s?

Lachhafte Begründungen

Mit der offiziellen Begründung dieser Maßnahme gab man sich keine besondere Mühe. Vor allem musste das Neidargument herhalten: die Halle bringe der Stadt Wien einen jährlichen Abgang in der Höhe von 1,4 Millionen Euro zu Lasten des „Steuerzahlers“. Nun, der Abgang der Wiener Linien liegt weit darüber, und niemand wird sie deshalb zusperren wollen. Auch sagt niemand, worauf dieser Abgang zurückzuführen ist. Was man im Grundbuch nachlesen kann ist, dass der Grund und Boden der Stadt Wien gehört. Was man hört ist, dass die mittelbar zur Immobilien Privatstiftung der Stadt Wien zählende EKAZENT Realitäten Ges.m.b.H. ein Baurecht an dem Hallengebäude besitzen und dieses an die Stadt Wien um einen stattlichen Betrag vermietet haben soll. Ein Fall fürs Kontrollamt? Die Sanierung des dabei entstehenden „Verlustes“ auf dem Rücken der Marktstandler auszutragen, ist jedenfalls eine Vorgangsweise, die jedem abgebrühten Turbokapitalisten, jedem Zinsgeier oder Immobilienhai alle Ehre machen würde.rnWenn es die SP-Gemeinderatsabgeordnete Nurten Yilmaz dann noch wagt, andere des Populismus zu zeihen und in einem Atemzug zu sagen „Die Stadt Wien ist jedenfalls nach wie vor nicht bereit, jeden Paradeiser und jedes Wurstblatt, das im Landstraßer Markt verkauft wird mit Millionen an Steuergeldern zu subventionieren\\\", dann schlägt es dem Fass den Boden aus. Frau Yilmaz sollte sich einmal in ihrer Stadt umsehen, was da alles mit unseren Steuergeldern subventioniert wird, vom Klopfen unsäglicher Populisten-Sprüche im Gemeinderat angefangen bis zu selbst vom Kontrollamt kritisierten und in den Sandstrand des Donaukanals gesetzten Investitionen. Haben denn alle, (einschließlich der Wiener Wirtschaftskammerpräsidentin) vergessen, dass an diesem Ort seit mehr als 100 Jahren eine Markthalle steht, dass der jetzige Bau nur ein Nachfolger jener Stahlkonstruktion ist, die noch vor wenigen Jahrzehnten in 3 großen Hallen Fleisch-, Gemüse- und Großhandel beherbergt hatte? Ist es wirklich so abwegig, dass eine Stadt ihren Bürgerinnen und Bürgern wie schon seit vielen hundert Jahren, die Vielfalt eines Marktes bietet, mit der die bloß so benannten „Super“-Märkte in keiner Hinsicht mithalten können?
Aber nicht genug: da wird allen Ernstes von BV-Stellvertreter Zabrana behauptet, die Mietverträge der Standler könnten so nicht weiterbestehen, weil die Mieten sehr gering seien und die wenigsten Mieter ihre Stände selbst betrieben, sondern zu einem Vielfachen an Untermieter weitergäben, und überdies zahlten die Hälfte („50%“) der Standler ihre Mieten nicht. Geht man solchen Behauptungen nach, stellt sich heraus, dass Untervermietungen ohne Zustimmung der Stadt Wien vertraglich untersagt sind und dass die besagten 50% Mietrückstände in Wahrheit 7 (sieben) von rund 60 Standlern betreffen. Es ist wohl nicht anzunehmen, dass es sich dabei um einen Irrtum im Prozentrechnen handelt; solche Informationen sind vielmehr Teil einer Kampagne, mit welcher der Bevölkerung durch gezielte Unwahrheiten die Halle madig gemacht werden soll. Rezeptur wie gehabt: man lasse einen Bahnhof (Wien-Mitte) verkommen und verwahrlosen, spare dabei jahrzehntelang die Kosten für Reparatur und Instandhaltung, sehe von Seite des Eigentümers wie der Stadt Wien genüsslich zu, wie das mit einem einzigen, überdurchschnittlich teuren WC bestückte Areal am hellllichten Tag von allen Seiten zugepinkelt und zugemüllt wird, und behaupte dann, „der Schandfleck müsse durch einen gigantischen Neubau beseitigt werden.“ (Wie das aussieht, konnte man vor einigen Tagen im neu gebauten Hilton-Durchgang gegenüber dem Bahnhof Wien-Mitte nachvollziehen: ein riesiger Hundehaufen lag dort einen halben Tag und eine Nacht lang unbehelligt mitten in der noblen Passage, bevor sich jemand seiner annahm und ihn entfernte.)

Wer ist wer in Wien?

Der naive Bürger fragt sich natürlich, aus welchem Grund die Stadt Wien wirklich so plötzlich die von ihr sichtlich ungeliebte Markthalle abstoßen und „der SALIMA“ andrehen wolle, und warum letztere die unbedankte Aufgabe übernehmen sollte, die Standler durch Ablösezahlungen zu einer raschen Räumung zu bewegen.
Nun, des Rätsels Lösung ist nicht schwierig, wenn man die Beteiligungsverhältnisse und damit die Verflechtungen mit den Bauträgerfirmen kennt. Die SALIMA, die offiziellen Meldungen zufolge mit den Standlern Ablöse-Verhandlungen führen sollte und die inzwischen nicht mehr SALIMA, sondern Wien-Mitte Immobilien GmbH heisst, steht je zur Hälfte im Eigentum der B.A.I und der BA-CA Wien-Mitte Holding Ges.m.b.H. Die B.A.I. (Bauträger Austria Immobilien GmbH, vor ihrer Ausgliederung aus dem Bereich der BA-CA – der Rechtsnachfolgerin der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien – per 01.01.2000 Bank Austria Immobilien GmbH) wiederum ist eine 99,75%-Beteiligung der Immobilien Holding GmbH, einer 100%-Tochter der Immobilien Privatstiftung, also jener Immobilienstiftung, deren Gründung (1999) mit dem Verkauf der BA-CA (vormals Zentralsparkasse der Gemeinde Wien) an die HVB (2000) zusammenhängt. Hinzu kommt, dass sowohl die Ekazent Realitäten GesmbH eine 99,99%-Beteiligung der Immobilien Privatstiftung, als auch die Ekazent Immobilien Management GmbH eine 100%-Beteiligung der Immobilien Holding GmbH ist.
Das klingt alles sehr kompliziert, die Antwort auf die Frage, wer wohl in der Stadt Wien und im Großkonzern der Immobilien Privatstiftung das Sagen hat, dürfte dennoch nicht allzu schwer fallen.

Darf’s ein bisserl mehr sein?

Das Projekt Wien-Mitte steht seit Anbeginn unter keinem guten Stern. Das im Frühjahr 2000 beschlossene Modell musste mangels kostendeckender Interessenten abgeblasen werden. Das in einem Wettbewerb der Stadt Wien (!) siegreiche Projekt der Architekten Henke/Schreieck, das eine städtebaulich vertretbare Lösung darstellte und als Grundlage für den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan diente, wurde schon vor dessen Erstellung durch Einfügen zusätzlicher Kubaturen entwertet. Auch in der Folge wurde der Entwurf durch gewaltsame Vermehrung der Nutzflächen so verändert, dass vom ursprünglichen Konzept kaum noch etwas übrig geblieben ist. Immer noch zu wenig – die Fläche der Markthalle weckt nun die Begehrlichkeit der Bauträger, zumal dort die Möglichkeit bestünde, dem Mieter Interspar, der sich auf einen unkündbaren Mietvertrag stützt, während der Bauzeit ein günstig gelegenes Ausweichquartier zu bieten und gleichzeitig die Standler-Konkurrenten zu beseitigen. Nach Pressemeldungen soll der Bauträger mit Interspar auch im Gespräch über die Übernahme der Einkaufszentrums-Entwicklung sein. Auf das Gerücht des Ausweichquartiers für Interspar angesprochen, antwortete einer der Geschäftsführer der Wien-Mitte Immobilien GmbH wörtlich, „es gibt Gerüchte, die ich nicht kommentiere, aber das ist mir aus meiner Sicht fremd.“ Warum hat er, der es wissen müsste, nicht mit einem klaren Ja oder Nein geantwortet?

Alles klar?

Wenn man erkannt hat, dass die verantwortlichen Stadtpolitiker und der Bauträger Hand in Hand arbeiten, wenn man – etwa aus der Lektüre von Reinhard Seiss’ „Wer baut Wien?“ - weiß, was das in dieser Stadt bedeutet, dann versteht man auch, wenn eine leitende Beamtin der MA 59 ihre Machtlosigkeit angesichts „von ganz oben“ kommender Weisungen eingesteht, versteht man, warum Politikern, die sich sonst gerne als Arbeitsplatzbeschaffer und heftige Kritiker der Arbeitsmarktpolitik anderer geben, die Vernichtung von 300 Arbeitsplätzen nicht nur gleichgültig ist, sondern von ihnen sogar unterstützt wird, warum Tatsachenverdrehungen, Verleumdungen kleiner Geschäftsleute und demagogische Aussagen unter jeglicher argumentatorischer Gürtellinie herhalten müssen, um eine zusätzliche Flächenbeschaffung für einen Bauträger zu rechtfertigen, der es in 7 Jahren immer noch nicht geschafft hat, die Voraussetzungen für die Verbauung des Areals Wien-Mitte zu schaffen.
Es wird Zeit, dass Wiens Bürgerinnen und Bürger erwachen und diese menschenverachtende Vorgangsweise mit dem nächsten Stimmzettel so gründlich bestrafen, dass allen Nachfolgern der Appetit auf eine derart bürgerfeindliche Politik vergeht.

Helmut Hofmann
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