AKT!ON 21

WIEN IST - SPATEN UND STICH


Montag, 23. Juni 2008

WIEN (= das rote Wien) ist Spaten. Und Spaten sind zum Graben da. Nicht nur für die innerstädtischen Straßenzüge, genannt „Graben“ und den „Tiefen Graben“. Vom Graben haben auch das „Grab“ und der Toten“gräber“ ihren Namen. Zum Beispiel die Totengräber der Markthalle, die sich beim „Spatenstich“ für Wien Mitte fröhlich vereinigen. Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint. Moderne Totengräber graben nicht, sie lassen graben.

ES STICHT


Dafür sind sie sich nicht zu gut zu stechen. Nicht nur symbolisch. Das war einmal, als man noch auf drei rote Pfeile gesetzt hatte, welche ins Herz der kapitalistischen Reaktion zielen sollten. Heute gehört man selber zu dieser, will sich daher nicht ins eigene rosarote Fleisch stechen.
Aber abstechen, zum Beispiel die letzte Markthalle Wiens – dazu ist WIEN fest entschlossen. Auch wenn man damit den Menschen ins Herz ihrer Nahversorgung sticht. Auch wenn man den Standlern ihre Existenz „absticht“. Das sind ja „die anderen“. Sozialistische Solidarität der Gegenwart. Grauslich. Soziale Kälte. Ein Kältestich sozusagen oder aber auch ein Sonnenstich jener Sonne, in deren Licht sich die Stadtväter und -mütter gerne zu zeigen pflegen.

POTENTATENPRESTIGE

Dahinter steht „der höhere Wille“ – auch wenn man nicht an Gott glauben sollte. Gottähnlichseinwollen ist häufig das Ziel, nicht nur für Gläubige.
Protzbauten selbstherrlicher, sich gottgleich oder gottähnlich wähnender Potentaten säumen den Weg der Mächtigen, von Pharaonen und römischen Cäsaren bis hin zu Figuren wie Hitler, Stalin und Idi Amin. Sie gehören zum Imponiergehabe vom Cäsarenwahn befallener Herrscher, die längst keine Grenzen mehr kennen.

WIEN IST ANDERS

Wien ist anders. Da war es immer schon der notorische Geldmangel, der das Wachsen der Bäume in den Himmel verhinderte. Schloss Neugebäude, Schloss Schönbrunn, das Kaiserforum der Hofburg – sie alle stehen dafür, dass großkotzige Vorhaben entweder vernünftigere Dimensionen bekommen haben oder unvollendet geblieben sind.

DAS FEST ZÄHLT

Was das mit Wien Mitte zu tun hat?
Da bleibt für Protzbauten nicht mehr viel übrig. Nicht die UNESCO, sondern das Unterschätzen der ökonomischen Zwänge hat dazu gezwungen, dass die Brötchen immer kleiner gebacken werden. Wenigstens ein Hauch von Protzigkeit aber soll erhalten bleiben. Wenn schon die Meinung der Bevölkerung nichts zählt, eines zählt jedenfalls: das Festzelt. Wenn schon der Prestigebau der wirtschaftlichen und auch sonstigen Vernunft gehorchend an allen Orten redimensioniert werden muss, dann wird dieses Minus durch den „Spatenstich“ kompensiert. Der erhält ein Gepränge, wie es noch kein Bauwerk in dieser Stadt erhalten hat. Im Vorhinein versteht sich. Weil das Nachhinein in den Sternen steht. Und die lassen sich nicht, nicht einmal ab-. oder an-, er- oder be- stechen.

ABGESANG

Der einzige Überrest dieser 300.000 Euro-Fête war der „Grundstein“. Er lag monatelang wohlbehütet und durch ein Gitter abgeschirmt inmitten jenes Areals, auf welchem mit einem halben Jahr Verspätung die Baumaschinen wüten. Schon im alten Wien gab es die Sage vom ersten Veilchen, das im buchstäblichen Sinn wohlbehütet wurde, damit der Kaiser es – von anderen unentdeckt und ungepflückt - bestaunen und sich daran ergötzen konnte. Da lag sie nun, die Grundstein-Tafel, mit dem Gesicht nach oben, gen Himmel gerichtet, eine stumme Klage gegen all das profane Gewusel rundherum, das sich in immer engeren Kreisen dem ehrwürdigen Stein des Gedenkens an eine sündteure Fete näherte.

JA WO IS ER DENN?

Durch eine Ritze im „Bauzaun“ kann man nun einen Blick auf die Stelle erhaschen, an welcher der Grundstein „gelegt“ worden war. Sehen wird man ihn allerdings nicht, denn es kam, wie es kommen musste. Eines Tages ereilte der Abbruch selbst die heilige Stelle, an welcher der spatenstechende Bürgermeister den Grundstein für „seinen“ Prunkbau gelegt hatte. Vielmehr: legen wollte. War er sich dessen nicht bewusst, dass es begrifflich gar keinen Grundstein geben kann, so lange noch das alte, abzureißende Bauwerk steht? Und dass nicht einmal die berühmten Bürger von Schilda auf den grotesken Einfall gekommen waren, einen Grundstein auf ein Bauwerk zu legen, welches zuerst abgerissen werden muss, um einen wirklichen Grundstein überhaupt legen zu können?
Hat man da gar unseren Bürgermeister „gelegt“? Oder hat ein solches „Legerl“ nicht vielmehr Symbolcharakter für die Art, in der unsere Stadtväter und –mütter die Dinge anpacken: mit Hurrageschrei, nur auf mediale Sofortwirkung bedacht und ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Folgen ihres Tuns zu verschwenden?
Dabei hätte der Bürgermeister und seine Trabantenschaft nur ein wenig die Ohren zurück-legen und auf die Menschen hören müssen, die rund um dieses seltsame Spektakel mit ihrer Meinung über das ganze Vorhaben und seine schräge Begleitmusik nicht hinter dem Berg gehalten haben. Eine ältere Frau etwa, die zur überfallsartigen Schließung der Markthalle beklagt hatte, dass sie nun nicht wisse, wo sie ihren Nahrungsbedarf kostengünstig decken sollte, oder ein Mann, der erzählte, er habe den Bürgermeister am 1. Mai auf die Markthalle angesprochen und als Antwort nur „Hau di über die Häuser“ bekommen.

Wien Mitte: Fortsetzung folgt hier, wenn schon nicht anderswo.
Helmut Hofmann
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