AKT!ON 21

„Demokratie – Abwürge bloßgestellt!


Donnerstag, 30. Jänner 2020

Fragwürdiges „Geheimgutachten“
Aktion 21 widerlegt eine ihr zugespielte, nicht veröffentlichte und nicht öffentlich zugänglich gemachte „Stellungnahme“ des Magistrats der Stadt Wien, mit der unerwünschte Bürgerversammlungen nach § 104c der Wiener Stadtverfassung nach Belieben „abgedreht“ werden könnten. Die rechtliche Gegenexpertise von Aktion 21 finden Sie hier:“



Bürgerversammlungen
Zur Anwendung des § 104c der Wiener Stadtverfassung


(Gesetzliche Grundlage)

1. Zur Information und Diskussion über Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes gelegen sind, können Bürgerversammlungen abgehalten werden. (§ 104c Abs. 1 Verfassung der Bundeshauptstadt Wien (Wiener Stadtverfassung – WStV).
Eine Bürgerversammlung ist abzuhalten, wenn mindestens ein Fünftel der Mitglieder der Bezirksvertretung dies verlangt. (WStV § 104c Abs.2).
Die Bürgerversammlung ist vom Bezirksvorsteher oder einem von ihm beauftragten Mitglied der Bezirksvertretung einzuberufen und zu leiten. Allfällige Unterlagen sind mindestens zwei Wochen vor Abhaltung der Bürgerversammlung zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. (WStV § 104c Abs.3).


Versammlungen nach § 104c WStV
2.a) Unter „Versammlungen“ sind dem Austausch von Informationen dienende, zur selben Zeit und am selben Ort stattfindende Zusammenkünfte von Personen zu verstehen. Wie der VfGH schon wiederholt ausgesprochen hat, ist die Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung iS des VersG 1953 zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen (VfGH Slg.Nr. 9783/1983). Derartige Versammlungen von Bürgerinnen und Bürgern zählen zu den in der Menschenrechtskonvention (MRK) garantierten und im österreichischen Versammlungsgesetz 1953 verankerten Grundrechten und bedürfen an sich keiner weiteren genehmigenden Regelung.

2.b) Die Vorschriften des § 104c Abs. 1 und 2, denen zufolge Bürgerversammlungen unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur abgehalten werden können, sondern abzuhalten sind (§ 104c Abs. 2), regeln den Sonderfall einer Bürgerversammlung, mit deren Durchführung ein Organ der Gemeindeverwaltung (Bezirksvertretung) ein anderes (Bezirksvorstehung) beauftragt. Der Zweck einer solchen Versammlung – Information über und Diskussion von Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes gelegen sind – ist dabei festgelegt, ebenso die Verpflichtung der Bezirksvorstehung zur Einberufung und Leitung. Die Beurteilung der Frage, ob eine Angelegenheit im überwiegenden oder ausschließlichen Interesse des Bezirks liegt, obliegt dem Bezirksvorsteher.

Überwiegendes Interesse
3.a) Die Magistratsdirektion der Stadt Wien – Bereich Recht vertritt den Standpunkt, dass die Frage, welche Angelegenheit im überwiegenden oder ausschließlichen Interesse des Bezirks liegt, nach den Regelungen der Wiener Stadtverfassung über den Wirkungsbereich der Bezirke zu beurteilen sei. Sie setzt damit die Rechtsbegriffe „Wirkungsbereich“ und „Interesse“ gleich, was durch folgende konkrete Ausführungen unterstrichen wird: „Der Schwerpunkt der lnteressen der Stadtplanung liegt vielmehr auf Grund der Zuordnung der Planungshoheit zur Gemeinde sowie auf Grund der Zuständigkeiten von Gemeindeorganen zur Ausarbeitung und Erlassung der Pläne eindeutig bei der Gemeinde“ und „Die Frage der strategischen Entwicklung des gegenständlichen Areals, sofern dies in der Planungshoheit der Stadt Wien liegt, sowie die allfällige Erlangung hierzu erforderlicher Baubewilligungen betreffen ebenso keinen >u>Wirkungsbereich der Bezirke, der im ausschließlichen oder überwiegenden lnteresse der Bezirke gelegen wäre.“

3.b) Dafür, was unter einem „überwiegenden Interesse“ zu verstehen sei – ein „ausschließliches Interesse“ wird nur in seltenen und eher unbedeutenden Fällen in Frage kommen und diesfalls auch kaum Auslegungsschwierigkeiten bereiten – , ist weder im Gesetz, noch in Judikatur und Literatur eine praxistaugliche Erklärung zu finden. Das B-VG enthält diesen Begriff im Art. 118 Abs. 2, wo er gleichsam als Generalklausel den eigenen Wirkungsbereich von Gemeinden umschreiben hilft: „Der eigene Wirkungsbereich umfasst neben….alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.“ Daraus kann nach dem Grundsatz nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet aber bloß abgeleitet werden, dass für die im Art. 118 Abs. 2 genannten Angelegenheiten die Zuständigkeit grundsätzlich auch von einzelnen Bezirksorganen wahrgenommen werden kann, soferne dies in der betreffenden Landes- bzw. Stadtverfassung vorgesehen ist.

Lehre und Judikatur 1 stellen bei der Interpretation des Begriffs „überwiegendes Interesse“ im Zusammenhang mit der Zuständigkeit einer Gebietskörperschaft einerseits auf das Interesse als eine grundsätzliche Verpflichtung zur Befassung mit jenen Angelegenheiten ab, die in der jeweiligen Körperschaft von allgemeiner Bedeutung sind, wobei im Fall eines solchen Interesses dieses gegenüber jenem konkurrierender Körper oder Gemeinschaften überwiegen muss. Die Beurteilung dieses „Überwiegens“ ist dabei vom jeweiligen Entscheidungsträger von Fall zu Fall (begründet) zu beurteilen. Daraus folgt, dass das „überwiegende Interesse“ nicht mit der Zuständigkeit gleichzusetzen ist, sondern vielmehr als Voraussetzung für diese gefordert wird. Die Ansicht der Magistratsdirektion der Stadt Wien – Bereich Recht, derzufolge Wirkungsbereich und Interesse gleichzusetzen sind, erfordert daher ein tieferes Eingehen auf den Unterschied dieser beiden Begriffe.

Wirkungsbereich
4.a) Unter „Wirkungsbereich“ versteht das B-VG jene Angelegenheiten, die von einer Gemeinde in eigener oder ihr übertragener Verantwortung zu besorgen sind. (Art. 115 Abs. 2, 116 a Abs. 1 bis 3, 6), Art. 118 f. B-VG)

„Interesse“ stellt hingegen auf Angelegenheiten ab, die nicht nur für Einzelne, sondern für die Allgemeinheit von Bedeutung, somit von allgemeiner Bedeutungsind.

Der Unterschied besteht darin, dass sich das Interesse der Allgemeinheit in mehr oder weniger starker Ausprägung auf alle Bereiche des Lebens erstrecken kann, während unter Wirkungsbereich eine klar definierte Zuständigkeit zur Besorgung bestimmter Angelegenheiten verstanden wird. Das (überwiegende oder ausschließlich) Interesse ist dabei gem. Art. 118 Abs. 2 B-VG eine von mehreren gesetzlichen Voraussetzungen für die Zurechnung von Angelegenheiten zum eigenen Wirkungsbereich einer Gemeinde und kann daher mit diesem schon deshalb nicht gleichgesetzt werden.

4.b) Der eigene Wirkungsbereich der (Stadt)gemeinde Wien wird vom Gemeinderat, vom Stadtsenat, vom Bürgermeister, von den amtsführenden Stadträten, von den Gemeinderatsausschüssen und Kommissionen des Gemeinderates, von den Bezirksvertretungen, den Bezirksvorstehern und den Ausschüssen der Bezirksvertretungen, vom Berufungssenat und vom Magistrat ausgeübt (§ 78 WStV). Die Bezirke sind keine eigenen Gebietskörperschaften, sondern bloße Verwaltungseinheiten; ihre Repräsentanten sind auf den Bereich eines Bezirkes beschränkte Organe der Gemeinde. Als solche sind sie Amtsträger der öffentlichen Verwaltung und somit im Bereich ihres Bezirkes Träger von ihnen im Wege der WStV speziell übertragenen Rechte und Pflichten. Insoweit dieser Wirkungsbereich auf Angelegenheiten beschränkt ist, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse des Bezirkes stehen, (z. B. §§ 104 b Abs.1, und 104c Abs. 1), dienst dies dem Erfordernis, mit anderen Bezirken konkurrierende Doppelgeleisigkeit in der Amtstätigkeit zu vermeiden und einem allenfalls darüber hinausgehenden Wirken den Charakter einer Amtstätigkeit zu nehmen2.

4.c) Da ein Bezirk keine Gebietskörperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit und eigenem Wirkungskreis ist und Organe, deren Wirken auf einen Bezirk beschränkt ist, bloß Organe der Gebietskörperschaft sind, für die sie ihr Amt ausüben, wird er durch die Personen, die darin den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen bzw. ihren Sitz haben, dargestellt. Deren thematisches Interesse – vor allem in Bezirken größerer Stadtgemeinden – ist nicht unbedingt das gleiche wie das Interesse der auf den Bezirk beschränkten Gemeindeorgane, welches der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zu gelten hat. Insbesondere können Bezirksbürger ein sehr hohes Interesse an Angelegenheiten haben, die in die Zuständigkeit übergeordneter Gemeindeorgane (Bürgermeister, Gemeinderat o.ä.) fallen. Es widerspräche dem Gedanken einer Bürgerinformation und -diskussion, beschränkte man diese auf Angelegenheiten, die üblicherweise von den bezirksgebundenen Gemeindeorganen wahrzunehmen sind. Zu deren Aufgabe zählt ja auch, das zu Ihrer Kenntnis gelangte Interesse des Bezirks an übergeordnete Stellen ihrer Gemeinde weiterzugeben und damit auf deren Entscheidung einzuwirken (z. B. in Stellungnahmen zu neuen oder geänderten Plandokumenten)3 . Eine Beschränkung der Angelegenheiten auf jene, für deren Behandlung die bezirksgebundenen Gemeindeorgane zuständig sind, widerspräche daher wesentlichen Mittlerfunktionen dieser Organe und entkleidete sie damit ihrer Sinnhaftigkeit.

4.d) Das ausschließliche oder überwiegende Bezirksinteresse wird daher nach dem territorialen Interesse (z. B. Erschließung abgelegener Bezirksteile unter Beteiligung eines Nachbarbezirks) und vor allem nach dem Interesse der Bezirksbevölkerung an Angelegenheiten zu beurteilen sein, die räumlich überwiegend das Gebiet ihres Bezirks betreffen (z. B. Umwandlung einer bezirksübergreifenden Straße in eine Fußgängerzone). Es wäre dem Gedanken der in den §§ 104b und 104c WStV statuierten Bürgerbeteiligung diametral entgegengesetzt, würde man die minimalsten Formen der Bürgerbeteiligung (Versammlung und Vorsprache) in lokalen, von der Bevölkerung für bedeutsam gehaltene Angelegenheiten aus bloßen Kompetenzgründen unnötig erschweren oder gar verunmöglichen.

Zuständigkeiten
5. a) Unter den in der WStV auf die Bezirke heruntergebrochenen Zuständigkeiten für Angelegenheiten, die im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde stehen, befinden sich (gem. §§ 103 bis 103k WStV) Aufgaben, die zum (übertragenen) Wirkungsbereich der auf den Bezirk beschränkten Gemeindeorgane zählen (wie z. B. gem. § 103g Z. 1 die Erstellung von Bezirksentwicklungskonzepten). An deren grundsätzlicher Konzeption ist zwar ein (das der übrigen Bezirke) überwiegendes Interesse eines einzelnen Bezirks schwerlich vorstellbar, wohl aber an der konkreten inhaltlichen Ausformung für einen bestimmten Bezirk, soferne durch diese nicht wesentliche Interessen eines Nachbarbezirks berührt werden. Das Bezirksinteresse konzentriert sich dabei auf jene Angelegenheiten, die für das Bezirksgebiet oder für dessen Einwohnerschaft von besonderer Bedeutung sind. Überwiegend ist es dann, wenn die Bedeutung für den betreffenden Bezirk größer ist als für andere (auch mehrere) Bezirke. Die Abwägung territorial gebundener Bezirksinteressen gegenüber anderen Bezirken wird dabei in der Regel nur bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten zu erfolgen haben.

5. b) Bei der gegenseitigen Abwägung dieser Bedeutung wird kein allzu enger Maßstab angelegt werden dürfen. In jedem einzelnen Fall wird die Frage zu beantworten sein, ob ein Missbrauch rechtsstaatlicher Verwaltung (etwa durch bewusst missbräuchliche Verlagerung relevanten Handelns in einen anderen Bezirk) oder demokratischer Einrichtungen (etwa durch bewusst missbräuchliche Verlagerung einer Diskussion in einen anderen Bezirk) vorliegt. Nur in derartigen Fällen wird z. B. die Nichtabhaltung einer Bürgerversammlung oder die Verweigerung einer Amtshandlung gerechtfertigt sein. Selbst dies darf aber nicht so weit führen, dass der Sinn der in den §§ 104b und 104c festgeschriebenen Bürgerrechte unterlaufen wird. So wird einem Antrag auf Abhaltung einer Bürgerversammlung, der mehrere Angelegenheiten oder eine Angelegenheit, die mehrere Teilaspekte enthält, berührt, stattzugeben sein, wenn nur ein Teilaspekt im überwiegenden Interesse des Bezirks liegt; dem Bezirksvorsteher obliegt es, als Leiter der Bürgerversammlung, eine Ausdehnung des Versammlungsablaufs auf andere Gegenstände zu verhindern. Maßstäblich sind auch – vor allem im öffentlichen Diskurs erfolgte – Beurteilungen der Bedeutung einer Angelegenheit durch die Bezirksvorstehung oder andere Bezirksorgane. 4 Sollten Zweifel am überwiegenden Interesse bestehen, wird die Bürgerversammlung dennoch einzuberufen und aus deren Verlauf auf das Ausmaß des Interesses geschlossen werden können. So kann etwa je nach Stärke des Besuches (in Verbindung mit dem Fassungsraum des Versammlungsortes) oder nach Frequentierung des Ortes, an dem sich der Gegenstand des Interesses befindet, auf die Stärke des Interesses geschlossen werden.


5. c) Wie immer man diese Frage beurteilt, wird man dabei stets im Auge zu behalten haben, dass die Abhaltung einer Versammlung über den betreffenden Gegenstand aufgrund des Versammlungsrechtes grundsätzlich nicht verhindert werden kann, zumal diese keine wie immer gearteten Rechtsfolgen nach sich zieht, sondern höchstens ein gewisser Kostenaufwand damit verbunden ist, der – selbst bei Zweifeln an der Erfüllung der Voraussetzungen – durch die damit verbundene Stärkung der unmittelbaren Beteiligung der Bevölkerung am politischen Geschehen (direkte Demokratie) gerechtfertigt erscheint. Umgekehrt wäre eine Verweigerung dieser Form der Öffentlichkeitsbeteiligung, sollte sie sich als ungerechtfertigt erweisen, nicht nur eine demokratiepolitisch bedenkliche Maßnahme, sondern obendrein auch für das entscheidungsverantwortliche Organ (Bezirksvorstehung) mit der Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung (§ 302 StGB). verbunden.


Bezirks-Bürgerversammlung

6. a) Eine Bürgerversammlung ist kein Organ des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, sondern eine bloß kurzzeitige, einmalige Zusammenkunft von an der Information über und an der Diskussion von bestimmten Angelegenheiten interessierten Gemeindebürgern. Im Hinblick auf die grundlegenden Regeln des Versammlungsgesetzes liegt es daher nicht in der Zuständigkeit einer Gemeinde oder eines Bundeslandes, das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf Versammlung einzuschränken, es teilweise abzuändern oder für bestimmte Arten von Versammlungen überhaupt außer Kraft zu setzen. Daher können die im § 104c WStV geregelten Bürgerversammlungen nur als zusätzliches Angebot an die Bevölkerung verstanden werden, sich im Rahmen eines von der Bezirksbehörde kontrollierten Versammlungsablaufs zwecks Erörterung bezirksrelevanter Angelegenheiten im zwingenden Beisein der Bezirksvorstehung zu versammeln. Grundsätzliche, in Gesetz, Satzung oder Einberufung generell oder speziell festgelegte Rechte und Pflichten der eine Versammlung Einberufenden sowie der an einer Versammlung Teilnehmenden, wie etwa die autonome Bestimmung des Teilnehmerkreises, Zeit und Ort des Versammlungsortes oder der Versammlungsthematik, bleiben dabei unberührt.

b) Die WStV enthält keinerlei Bestimmungen über die sachliche oder zahlenmäßige Beschränkung der Versammlungsteilnehmer von Bürgerversammlungen. Die Einberufung einer Versammlung von „Bürgern und Bürgerinnen“ zwecks Erörterung auch von bezirksrelevanten Themen steht daher jedermann frei. Die WStV räumt lediglich bestimmten Organen der Bezirksverwaltung (Bezirksvorstehung, Bezirksvertretung) ausdrücklich die rechtliche Möglichkeit ein, eine Bürgerversammlung einzuberufen und abzuhalten. Die dazu berufenen Organe können von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, wenn sie dies im Rahmen ihres freien Ermessens für notwendig erachten und wenn dabei die im § 104c Abs. 1 enthaltenen Voraussetzungen (Information und Diskussion über Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes gelegen sind) zutreffen. Der Sinn einer zwingenden Einberufungsvorschrift liegt darin, dass über die Versammlungsleitung durch die Beziksvorstehung dafür Sorge getragen wird, dass die in offener Diskussion erfolgende Meinungsbildung den entscheidenden Organen in repräsentativer Form zur Kenntnis gelangt und solcherart ihr politisches Handeln zu beeinflussen vermag.

Verpflichtende Bürgerversammlung

7. Anders als im § 104c Abs.1 WStV spricht Abs. 2 nur von der Abhaltung „einer Bürgerversammlung“ und nicht etwa von einer, die nur der Information und Diskussion von Angelegenheiten dient, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes liegen. Auch die zwingende Vorschrift des § 104c Abs. 2 WStV setzt jedoch voraus, dass die Versammlung gesetzeskonform abläuft. Das heißt: sollte sich in ihrem Verlauf ergeben, dass z. B. über Angelegenheiten informiert oder diskutiert wird, die nicht im überwiegenden Bezirksinteresse liegen oder sollte eine Erörterung aus sonst einem Grund gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen, läge es an der Versammlungsleitung, unter Hinweis auf die mangelnde rechtliche Legitimation den Versammlungsverlauf mit den sitzungspolizeilich zur Verfügung stehenden Mitteln entsprechend zu steuern.

Zusammenfassung:
Bürgerversammlungen gemäß § 104c der WStV dienen mangels daraus resultierender Rechtsfolgen lediglich der Erkundung der politischen Bevölkerungsmeinung in einer durch die Ordnungspolizei der Bezirksvorstehung garantierten, ökonomisch vertretbaren Abwicklung im Sinn direktdemokratischer Einrichtungen.
Der Begriff des überwiegenden oder ausschließlichen Bezirksinteresses ist dabei auf die Frage zu verengen, ob die Behandlung einer Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung für den Bezirk vorgesehen ist.
Die Zuständigkeit (Wirkungsbereich) von Gebietskörperschaften bzw. von deren Organen ist dabei nicht entscheidend. Eine die Begriffe Interesse und Zuständigkeit gleichsetzende Auslegung der Rechtsnormen widerspricht den für das gesamte österreichische Recht geltenden Auslegungsregeln des § 6 ABGB.

Ein Überwiegen des Interesses setzt ein konkurrierendes Interesse einer anderen Einheit (Bezirk) voraus. Das Interesse einer in mehrere Verwaltungsteile (Bezirke) gegliederte Gebietskörperschaft (Gemeinde) kann begrifflich nicht mit einem dieser Verwaltungsteile konkurrieren, weil diesfalls

  1. einerseits ein „ausschließliches“ Interesse des Bezirks nicht denkmöglich und das gesetzliche Alternativerfordernis des „ausschließlichen Interesses“ somit sinnlos wäre,
  2. andererseits jegliches Interesse des Bezirks in seinem vollen Umfang auch im Interesse der Gesamtgemeinde liegen müsste, daher ein „überwiegendes Interesse“ des Bezirks gegenüber der Gesamtgemeinde nicht denkmöglich und
  3. damit die gesamte einschränkende Bedingung des „überwiegenden Interesses des Bezirks“ gegenüber der Gesamtgemeinde sinnlos wäre.
Zudem sollte bei nicht eindeutigem Fehlen des überwiegenden Bezirksinteresses über die Eignung einer Angelegenheit als Gegenstand einer Bürgerversammlung einem Minderheitsantrag gem. § 104c WStV auf Abhaltung einer Bürgerversammlung im Hinblick auf das Versammlungsrecht, auf die mangelnde rechtliche Relevanz, auf die Rechtssicherheit 5 sowie auf die Stärkung direktdemokratischer Einrichtungen 6 stattgegeben und allfälligen Missbräuchen im Wege der Versammlungsleitung Einhalt geboten werden.

Wien, 29.01.2020
Helmut Hofmann

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1 Literatur u.a. Mayer/Muzak B-VG Bundesverfassungsrecht, 5. Auflage, 2015, Walter-Mayer Bundesverfassungsrecht 9.52, 2000; Judikatur u.a. VfSlg 7325, 9811, 9653, 11.726, 8591, 11.307, VwSlgNF 7348A, VwGH 27.5.1993, 92/01/0900, Vw 7210 3.11.1967 Z 1885/66.

2 Dies kann z.B. für die Rechtsfolgen amtlichen Handelns – etwa als Tatbestandsmerkmal des § 302 StGB - von Bedeutung sein

3 z. B. in Stellungnahmen zu neuen oder geänderten Plandokumenten

4 So etwa kann sich die Bezirksvorstehung nicht ohne überzeugende Begründung auf mangelndes überwiegendes Interesse des Bezirks an einem Bauprojekt berufen, wenn sie (lt. Bericht in der Gratis-Zeitung „Heute“) selbst öffentlich behauptet, dass der Nutzen eines konkreten Bauprojekts für den Bezirk enorm sei, weil der damit verbundene Park dadurch öffentlich werden würde.

5 vor allem in der Frage der Interessensabwägung im jeweils konkreten Fall

6 Zum konkreten Anlassfall ist überdies anzumerken, dass zwar keine der Information und Diskussion, wohl aber eine der bloßen Information dienende Bürgerversammlung (am 30.01.2020) gewährt wird. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die zuständige Behörde zwar Bemühungen zeigt, Informationsdefizite in der Bevölkerung wettzumachen, aber den bezweckten Meinungsbildungseffekt einer öffentlichen Diskussion mit allen Mitteln unterlaufen will. Was auf den ersten Blick wie ein Geplänkel über formale Zuständigkeiten anmutet, ist daher in Wahrheit ein bedrohlicher Eingriff in die Grundlagen demokratischen Zusammenlebens, der in der Gleichzeitigkeit derartiger Vorgänge in anderen Bezirken auf die effektive Ausschaltung der Einrichtung „Bürgerversammlung“, also einer der wenigen basisdemokratischen Einrichtungen, welche die Wiener Stadtverfassung kennt, mithilfe eines juristisch nicht vertretbaren (und daher wohl auch nicht offiziell zugänglichen) Rechtsgutachtens abzielt. Nach den speziell im 14. Wiener Gemeindebezirk bereits gemachten Erfahrungen erweist sich eine formlose „Informationsveranstaltung“ überdies als geeignetes Mittel, durch Auswahl eines Versammlungsortes mit unzureichendem Fassungsraum die gleichzeitige Zusammenkunft einer größeren Anzahl interessierter Bürgerinnen und Bürger zu verhindern. Sie ist schon aus diesem Grund nicht als Ersatz für eine Bürgerversammlung gemäß § 104 c WStV anzusehen.