AKT!ON 21

Muss es erst Tote geben?


Donnerstag, 27. November 2008

Seveso ist weit weg, Kaprun vergessen. Die Nonchalance feiert fröhliche Urständ’. Schon lange ist es kein Geheimnis mehr, dass Hochhäuser mit gefährlichen Fallwinden verbunden sein können, die im vorhinein simulierbar sind und die ein Architekt, der diesen Namen verdient, in seine Planung miteinbeziehen müsste. Damit es nicht dazu kommt, wozu es vor wenigen Tagen auf der Donauplatte gekommen ist: zu schweren Verletzungen, verursacht durch einen solchen Fallwind.

Die dazu berufen wären, Bauträger und deren Fachleute (es sind ja hoffentlich keine Pfuscher, die mit Hochhausbauten beauftragt werden, oder?), Behörden, die sonst sehr pingelig sein können, wenn es um Handläufe bei ein paar Stufen oder um die Ö-Norm-gerechte Ausführung brandhemmender Türen geht (und das durchaus zu Recht) – sie hüllen sich in Schweigen, schauen weg und überlassen alles Weitere dem Schicksal oder dem Zufall. Und dann passiert das, worauf betroffene Bürgerinnen und Bürger, Architekturkritiker oder Journalisten wiederholt hingewiesen haben, aber niemals ernst genommen worden sind: eine Fallwindböe erfasst beim Ares-Tower auf dem Heimweg vom Einkaufen eine rüstige, sportliche Frau, lässt ihr keine Chance und schleudert sie mit unvorstellbarer Wucht an eine Hauswand. Die Frau muss geborgen werden, kommt ins Krankenhaus. Das Ergebnis: Trümmerbruch am Oberarm, Gehirnerschütterung.

Dabei könnte man, bevor die echten Unfälle passieren, aus den Bürgerprotesten gegen vorprogrammierte Gefahrenpotenziale lernen. Etwa aus jenem Vorfall, als sich eines morgens, durch die darüber erfolgenden Abbrucharbeiten zu Wien Mitte gelockert, aus der Betondecke des U 4 – Abganges Gigergasse faustgroße Betonbrocken herabfielen und glücklicherweise keinen der vorbeieilenden Passanten am Kopf trafen. Nicht dass man die Unfallstelle schleunigst abgesperrt und saniert hätte – i wo. Das Herabgefallene wurde gemächlich weggeräumt, das „Loch“ Stunden später provisorisch verschalt. Die zuständige Behörde hat zufällig gerade weggeschaut. „Is eh nix passiert“. Dafür hatte man eine enge Zusammenarbeit mit der Lokalen Agendagruppe und Bürgerinitiative Wien Mitte zur Vermeidung solcher „Pannen“ abgelehnt.

Oder die vorgesehene Brandrauchentlüftung der U 4 in der Gigergasse. Die Bürgerinitiative hat die Frage nach der Gefährdung durch ins Freie austretenden Rauch im Brandfall gestellt. „Keine Gefahr“ signalisierte das dazu eingeholte Gutachten. Die Frage nach der Giftigkeit des Rauches (Seveso!) wurde allerdings ganz bewusst nicht gestellt. „Wird eh ned brennen, was glaubens, was dös kosten tät, da müsst ma an ganzen U-Bahnzug verbrennen“.

Oder die Nacht- und Nebelaktion, in der im Manes Sperber-Park ein hoher Baum zugunsten eines Garagenbaus gefällt wurde. Ein bisserl improvisiert halt, damit ja keine aufgebrachten Anrainerinnen oder Anrainer das „Werk“ verhindern sollten. Dass er gegen ein Wohnhaus gekracht ist, ist wohl seine Schuld gewesen, warum fallt er auch so blöd. Dass dabei niemand zu Schaden gekommen ist, weil er doch wieder nicht so blöd, etwa in ein Fenster, gefallen ist: is eh nix passiert, warum regt’s euch auf? Hauptsach, der Bam is weg. Die Bürgerinitiative? Nicht einmal ignoriert hat man sie.

Und wie war es denn bitte auf der Platte? Hat nicht die Bürgerinitiative, hat nicht sogar Reinhard Seiss in seinem 2007 erschienenen, vielbeachteten Buch „Wer baut Wien“ ausführlich auf die Fallwindgefahr aufmerksam gemacht? Was ist seither geschehen? Nichts. Es gibt zwar ein Windgutachten, welches besagt: „Im Allgemeinen ist zu sagen, dass die Gebäude in der VIENNA DC, im Vergleich zu anderen urbanen Gebieten, kein erhöhtes Gefährdungspotenzial haben.“ Nun ja, man weiß, was von solchen Gutachten zu halten ist. Sie dienen als Alibi für Bauherrn und Behörden. Der Gutachter versucht unter Berufung auf irgendeinen Stand der Wissenschaft und Technik den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es wird – wieder einmal – niemand schuld sein, außer der Verletzten vermutlich. Weil: „Durt is immer a Wind. Des san nur die ewigen Raunzer. Wird eh nix passiern. Was, a Trümmerbruch, a Gehirnerschütterung? De hat uns des sicher z’ Fleiß gmacht. Gibt eh kane Toten. Lassts uns in Ruah mit dem Bledsinn.“

Die Stadtverantwortlichen werden nicht müde, aktion21 – pro Bürgerbeteiligung und die ihr angeschlossenen Bürgerinitiativen als Verhinderer zu denunzieren und zu versuchen, sie durch Verweigerung jedweder Unterstützung mundtot zu machen. Der Herr Bürgermeister hat sogar geruht, um das Wohl ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger besorgte Menschen als Projektmörder zu bezeichnen. An Beispielen wie den vorgenannten wird nur allzu deutlich, wem dabei in die Hände gespielt wird: denjenigen, die leichtfertig Leben und Gesundheit der Bevölkerung aus Spiel setzen, aus Eigennutz, Gier, Bequemlichkeit oder – im besten Fall Gedankenlosigkeit und Dummheit. Dafür erwartet man von denen, die dagegen ankämpfen, Selbstlosigkeit und Idealismus. Muss es erst Tote geben, bis die öffentliche Meinung erwacht und die wirklich Schuldigen beim Namen nennt?

H.Hofmann
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