AKT!ON 21

Warum Bürgerbeteiligung?

Demokratie bedeutet "Herrschaft des Volkes". Das heißt: das Volk ist der Souverän und trifft die Entscheidungen. Im antiken griechischen Stadtstaat, der Polis - Wort und Begriff "Politik" sind davon abgeleitet - diskutierten die Bürger Fragen der Gemeinschaft auf dem Marktplatz so lange, bis - im Regelfall - ein breiter Konsens hergestellt war. An der Wiege der Demokratie stand also die Bürgerbeteiligung, auch partizipative Demokratie genannt.

Mit dem Anwachsen der Bevölkerung war eine gemeinsame Beteiligung aller nicht möglich. Es mussten aus ihrer Mitte Männer gewählt werden, welche ihre Interessen als "Mandatare", als Beauftragte in dazu geschaffenen Gremien zu vertreten hatten. Damit war die repräsentative Demokratie geboren. Das Europa der Neuzeit hat sie dem antiken Rom nachgebildet.

Mandatare mit ähnlichen Interessenslagen schlossen sich zu Parteien zusammen. Die Macht verlagerte sich damit von den gewählten Abgeordneten zu den Parteizentralen. Einige wenige bestimmten und bestimmen noch heute das Abstimmungsverhalten ihrer Mandatare, aber auch deren Kandidatur an wählbarer Stelle. Im Gewand der repräsentativen Demokratie entwickelte sich eine Parteienoligarchie. Von ihr führt ein nur allzu kurzer Weg direkt in die Diktatur. Einen Vorgeschmack darauf erleben wir überall dort, wo eine einzige Partei mit absoluter Mehrheit regieren kann.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass in einer Demokratie Mehrheiten die letzte, inappelable politische Instanz sind. Dabei vertreten Mehrheiten von Abgeordneten in einzelnen politischen Fragen nicht immer die Mehrheit der Bevölkerung. Nicht ohne Grund verlangt daher unsere Bundesverfassung bei grundlegenden Änderungen dieser Verfassung eine Volksabstimmung. Das Mehrheitsprinzip wird von der Rechtsphilosophie damit begründet, dass der Wille der Mehrheit jenem der Gesamtheit näher kommt als der Wille der Minderheit. Wer damit knappe Mehrheiten, wie wir sie in der Praxis sehr oft erleben, legitimiert glaubt, übersieht etwas sehr Wesentliches: nicht der Wille der Mehrheit wird von der Rechtsphilosophie als das anzustrebende Ideal angesehen, sondern der Wille der Gesamtheit. Je weiter eine Mehrheit davon entfernt ist, je mehr sie sich der Minderheit annähert, desto weniger demokratische Legitimation hat sie. Daraus erwächst die demokratiepolitische Verpflichtung, durch einen intensiven Dialog zu einem möglichst breiten Konsens zu gelangen. Nur dann, wenn dies nicht möglich ist, bevor Gefahr im Entscheidungsverzug droht, darf und muss zur Mehrheitsentscheidung Zuflucht genommen werden. In allen anderen Fällen ist das Schwingen der Mehrheitskeule mit der Anwendung politischer Gewalt gleichzusetzen. Gewalt bleibt Gewalt - sie ist zu ächten wie in der Familie, im gesellschaftlichen Zusammenleben oder im zwischenstaatlichen Verkehr.

Gibt es aus dieser vorgezeichneten Entwicklung, aus dieser gefährlichen demokratiepolitischen Sachgasse einen Ausweg?

Es gibt ihn: er heißt partizipative Demokratie. Die Vereinten Nationen haben dies erkannt und bei ihrer im Juni 1992 in Rio de Janeiro abgehaltenen Konferenz für Umwelt und Entwicklung (auf welches sich die am 27. Mai 1994 von den Teilnehmern der europäischen Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden in Aalborg beschlossene Charta von Aalborg ausdrücklich bezieht) ein "Agenda 21" genanntes Schlüsseldokument als Instrument der Bürgerbeteiligung verabschiedet. Darin ist die Teilhabe der Bevölkerung an kommunalen Planungs- und Entscheidungsprozessen festgeschrieben. Die Staatengemeinschaft hat also erkannt, dass die Teilhabe der Bevölkerung an Planungs- und Entscheidungsprozessen in der Kommune als notwendige und sinnvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie und gleichzeitig auch als deren Korrektiv dienen kann, um eine nachhaltige und umweltgerechte Entwicklung zu gewährleisten. Nicht umsonst hat der weltweite Gipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg im "Aufruf von Johannesburg" nach dem ersten Jahrzehnt der "Agenda 21" ein Jahrzehnt der "Local Action 21" als ein "Vorwärts von der Agenda zum Handeln" als Strategie zur beschleunigten Umsetzung zukunftsbeständiger Entwicklung ausgerufen.

Hand in Hand damit sollte die Wiederherstellung des Bewusstseins gewählter Mandatare gehen, nicht ihrer Partei, sondern ihren Wählerinnen und Wählern verantwortlich zu sein. Erst dann, wenn sie ihre Stallorder nicht von ihrer Parteizentrale bekommen, sondern sich selbst in einen ehrlichen, öffentlichen Diskurs über kommunale Vorhaben einbringen, wird der Weg aus einer derzeit gefährlichen Richtung wieder zurück zur echten Demokratie führen. Wer für partizipative Demokratie eintritt, fördert die Demokratie und schützt sie vor einem Abdriften in Richtung Diktatur.

Helmut Hofmann

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