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Aktion 21
AKTION 21

Investoren-Ethos und Bürgerbeteiligung


Sonntag, 4. März 2007

Investments im öffentlichen Raum sind nach unserer Auffassung dann - und nur dann - ethisch gerechtfertigt, wenn sie unter Einbindung der betroffenen Bevölkerung in den gesamten Planungsprozess zustande kommen, indem sie den Menschen nicht von politischen Entscheidungsträgern aufoktroyiert, sondern von Grund auf in einem fairen und offenen begleitenden Diskurs mit ihnen entwickelt werden. Investments im öffentlichen Raum, welche sich nachhaltig auf die urbane Lebensqualität auswirken können, sollten dem .politischen Willen eines möglichst großen Teiles der Bevölkerung Rechnung tragen. Ein öffentlicher Diskurs sollte die Entscheidungsträger in die Lage versetzen, das öffentliche Interesse an Investments richtig zu bewerten. Er soll auch verhindern helfen, dass Investments dem Korruptionsverdacht ausgesetzt sind und/oder zu Lasten der Allgemeinheit ausschließlich einem diesfalls ethisch verwerflichen Partikularnutzen dienen.

Investoren-Ethos erschöpft sich nicht in Beteuerungen, alle die ohnedies als überreichlich empfundenen gesetzlichen Einschränkungen der unternehmerischen Handlungsfreiheit peinlichst zu beachten. Es gibt Selbstverständlichkeiten, die nicht erst einer gesetzlichen Regelung bedürfen, um für Jedermann als Verpflichtung zu ethisch vertretbarem Handeln erkennbar zu sein. Die Rücksicht auf Leben und Gesundheit beispielsweise ist auch dort vorauszusetzen, wo gesetzliche Lücken rechtlichen Handlungsspielraum signalisieren. Es hat ja auch erst einiger veritabler Katastrophen bedurft, bis der Gesetzgeber in später Einsicht Handlungsbedarf verspürt hat, die Sicherheitsbestimmungen für Tunnels den aktuellen Gefährdungsmöglichkeiten anzupassen. Dabei sollte in einer Rechtsordnung, die berüchtigt dafür ist, alles zu reglementieren, der Schutz von Leben und Gesundheit als Menschenrecht an vorderster Stelle stehen. Seine Missachtung unter Berufung auf fehlende konkrete Normen stellt daher in jedem Fall eine ethisch verwerfliche Verletzung dieses Menschenrechtes dar.

Die Developer von Wien-Mitte bieten dafür ein Lehrstück. Aufgrund der nach der Tragödie von Kaprun verschärften Gesetzeslage ist bei dem unter dem geplanten Gebäude befindlichen Bahnsteig der U 4 für den Katastrophenfall eine aufwändige Brandrauchentlüftung vorgesehen. Ein 13 m langer und 3,5 m breiter Schacht, zunächst über dem Bahnsteig nach oben geführt, dann im rechten Winkel in Richtung Gigergasse geknickt und unter dieser nochmals im rechten Winkel nach oben geführt, sollte knapp über dem Straßenniveau den bei einer Brandrauchkatastrophe entstehenden toxischen Brandrauch abführen. Genau dorthin, wo nicht nur Menschen gehen, wohnen und arbeiten, sondern wohin auch jene U 4-Passagiere flüchten würden, denen die Brandrauchentlüftungsanlage eine solche Flucht ermöglicht hatte. Sie kämen sozusagen vom Regen in die Traufe, weil sich der Brandrauch in der Straßenschlucht der Gigergasse sehr rasch ausbreiten und - nach Aussage von Fachleuten - vor allem bei ungünstigen Windverhältnissen die Straße binnen kürzester Zeit in eine undurchsichtige Rauchhölle verwandeln könnte.

Der Grund dafür, dass diese Entlüftung nicht, wie üblich, vom Bahnsteig ohne Abwinkelungen direkt vertikal abtransportiert werden soll, liegt auf der Hand: ein Schacht in der notwendigen Dimension, welcher durch das über dem Bahnsteig vorgesehene Gebäude führen würde, führt bei etwa 10 (vorgesehenen) Geschossen zu einem Nutzflächenverlust von etwa 450 m².

Nun setzt die ethische Nagelprobe ein: darf man, um diesen kommerziellen Verlust zu vermeiden, Leben und Gesundheit von Menschen aufs Spiel setzen, wenn man nur alle erforderlichen Persilscheine für eine Lösung zusammenbringt, die dann - scheinbar - gesetzlich gedeckt ist?

Der Laie fragt: wie wäre das denn überhaupt möglich? Sind unsere Gesetze so schlecht oder werden sie so unverschämt umgangen, dass derartiges überhaupt denkbar wäre?

Die Rezeptur ist einfach. Man bestelle ein Gutachten, welches bestätigt, dass die vorgesehene Brandrauchentlüftung dem Stand der Technik entspricht und kein Zweifel daran bestehen kann, dass sie in der Lage ist, im Katastrophenfall den entstehenden Brandrauch wirksam vom U 4- Bahnsteig wegzutransportieren. Was über Tag mit dem Brandrauch geschieht, wurde der Gutachter nicht gefragt, weshalb er sich über diesen Teil des Szenarios ausschweigt. Das Gutachten wird den zur (eisenbahnrechtlichen) Verhandlung beigebrachten Plänen angefügt, der zuständige Beamte entscheidet. Wie er entscheidet, wenn ihn niemand, gestützt auf einen fachlich kompetenten Gutachter, darauf aufmerksam macht, dass mit dem Eintritt des Brandrauchs in die Atmosphäre über Tag das anstehende Problem nicht gelöst ist, darf man sich denken. Erst der Umstand, dass Anrainer, die noch dazu im eisenbahnrechtlichen Verfahren über eine derartige, 10 m vor ihren Fenstern
vorgesehene Einrichtung angeblich keine Parteienstellung haben, im Zuge eines Bürgerbeteiligungsverfahrens überhaupt Kenntnis von dieser Brandrauchentlüftung bekommen, die damit verbundene Gefahr erkannt und gegenüber der Behörde geltend gemacht haben, hat diese veranlasst, ein ergänzendes Gutachten einzufordern zu lassen. Gleichzeitig wurde die Öffnung in der Gigergasse zunächst auf 1,50 m Höhe, dann auf 3,50 m Höhe abgeändert - was der Planeinreicher sicherlich nicht getan hätte, wenn er nicht plötzlich Zweifel daran gehabt hätte, dass die ursprüngliche Version trotz der damit verbundenen Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen genehmigt werden würde.

Zurück zur Ethik: hätten solche Zweifel nicht schon bei Abfassung der Pläne kommen müssen? Gehen Planer wirklich so leichtfertig mit Menschenleben um - oder handelt es sich gar um ein bewusstes in Kauf-Nehmen katastrophaler Folgen, von denen man annimmt, dass sie erst dann eintreten würden, wenn die Verantwortlichen im wohlverdienten Ruhestand oder irgendwo unerreichbar sein würden, oder der Zeitverlauf die Zuordnung der persönlichen Verantwortung, so wie in Kaprun, unmöglich machen würde?

Die Wachsamkeit der Bürgerinnen und Bürger ist dazu angetan, einen dicken Strich durch solche Rechnungen zu machen. Sie finden Wege, um die Verantwortlichen durch Konfrontation mit dem Problem persönlich festzunageln und damit ihre Bereitschaft, aus Gewinnsucht, Gefälligkeit, Unterwürfigkeit oder sonst einem unethischen Motiv bei solchen verantwortungslosen Vorgangsweisen mitzuspielen, zu mindern. Solcherart kann eine begleitende Bürgerbeteiligung nicht nur gute Ideen liefern (die ja nicht angenommen werden müssen), sondern wenigstens auch zu einem ethisch vertretbaren Verhalten der Investoren und ihrer Helfer beitragen und den immer wieder festzustellenden Versuchen gegensteuern, hinter der Maske ethischen Verhaltens selbst höchste ethischen Grundsätze zu unterlaufen.

Dr. Helmut Hofmann
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