Seltsame Auffassungen:
Was ist ein Mandat?
Donnerstag, 9. April 2015
Die Wellen schlagen hoch in Wien: es geht um DAS Herzstück der Bürgerbeteiligung. Hat doch knapp vor einer Abstimmung über eine Änderung des Wahlrechts ein Abgeordneter die Partei „gewechselt“ und damit das zu erwartende Abstimmungsergebnis sozusagen „umgedreht“!Nein, hier geht es nicht um die Frage, die im ORF-Interview den sonst so souveränen und wortgewaltigen Bürgermeister in arge nervliche Bedrängnis gebracht hat. Nicht darum, ob sich der „Abtrünnige“ durch einen geldwerten Vorteil oder durch einen lauteren Sinneswandel hat leiten lassen. Hier geht es um etwas ganz anderes. Und es ist traurig, aber typisch für unsere demokratische Hygiene, wie alle sofort an Korruption, aber niemand daran denkt, wofür ein Mandat im Grunde genommen steht. Mandat und Vollmacht Mandat kommt vom lateinischen mandare, das so viel wie beauftragen bedeutet. Ein Mandatar ist jemand, der durch andere – seine Wähler – zur Wahrnehmung ihrer politischen Interessen beauftragt wurde. Das ist etwas anderes als eine Vollmacht. Diese berechtigt den bevollmächtigten, alles oder auch bloß gewisse Handlungen in meinem Namen vorzunehmen. Solche Vollmachten können auch unwiderruflich sein. Der Mandatar hat nicht nur das Recht, sondern sogar den Auftrag, für jemanden tätig zu werden. Der Auftrag muss aber genau umrissen sein. Der Auftragnehmer (Mandatar) wiederum ist verpflichtet, alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um diesem Auftrag nachzukommen. Er KANN das nicht, wie der Bevollmächtigte, sondern er MUSS es. Das politische Mandat Der gewählte politische Mandatar erhält seinen Auftrag ausschließlich von seinen Wählern. Seine Partei schlägt ihn als dafür Geeigneten vor, setzt ihn auf die Liste jener Kandidaten, die hinter einem bestimmten Programm stehen, mit dem sich ein Wähler identifizieren will. Egal, wie der Wahlzettel aussieht: gewählt wird nicht eine Partei, sondern eine namentlich genannte bestimmte Person, die für eine bestimmte Partei (auf deren Liste) in einem bestimmten Wahlsprengel kandidiert. Daher auch die Fragen das „Nachrückens“ nicht gewählter Kandidaten, die sich beim Ausfall eines Mandatars der betreffenden Partei stellen. Das Wahlversprechen der Partei, auf deren Liste jemand kandidiert, sagt etwas aus über die ideologische und pragmatische Haltung der zu wählenden Person. Darin liegt das Versprechen, den Leitlinien der Partei zu entsprechen. Mit der Wahl erfolgt der Auftrag, diesem Versprechen nachzukommen. Das und nichts anderes hat der Wähler vom Gewählten zu erwarten. Mandatsverlust Kann durch Ereignisse eintreten, die einem Mandatar die Erfüllung seiner Auftrags verbieten. Sie können in seiner Person (seinem Tod, seiner Gesundheit, seinen familiären Verhältnissen usw.) liegen, sie können aber auch in Ereignissen liegen, die mit seinem (politischen) Gewissen nicht in Einklang zu bringen sind oder die seiner weiteren Mandatsausübung gesetzlich (etwa bei strafrechtlicher Verurteilung) entgegenstehen. Dann kann das Mandatzurückgelegt oder für erloschen erklärt werden. Was aber mit dem Wesen eines Mandats absolut unvereinbar ist: dass man den Inhalt des Auftrags einfach gegen jenen eines anderen Auftraggebers eintauscht, ohne diesen darüber befragt und ohne den bisherigen Auftrag in die (wählenden) Hände des alten Auftraggebers zurückgelegt zu haben. Wer so handelt, missbraucht sein Mandat. Missbrauch bleibt Missbrauch Wer sein Mandat im zivilen Leben solcherart missbraucht, muss mit schwerwiegenden Folgen bis hin zur strafrechtlichen Verurteilung rechnen. In einem politischen Szenario hingegen wird ein derartig verwerfliches Verhalten nicht nur nicht geahndet, sondern sogar noch belohnt. Da muss man nicht lange nachdenken, warum die Kaste der Politiker in diesem Land über mangelnde Wertschätzung und schwindendes Vertrauen zu klagen hat. Mit einer gespaltenen Moral, die ein an sich unmoralisches Verhalten dann als „moralisch“ qualifiziert, wenn es (wie im Krieg oder beim Genozid) als „politisch“ gerechtfertigt bezeichnet werden kann, könnte dann jeder Putschversuch, jeder „politische“ Mord gerechtfertigt werden. Schluss damit! Diese Überlegungen weisen deutlich auf einen Mangel in den kontinentaleuropäischen Demokratien hin. Es sollte selbstverständlich sein, dass, Mandatare, die sich mit ihrem eigenen Wahlversprechen bzw. dem Programm der Partei, die sie nominiert hat, nicht mehr identifizieren wollen, entweder ihren Klub verlassen und ihr Mandat „parteilos“ ausüben, oder aber ihren Rücktritt erklären und damit ihren Auftrag in die Hände ihrer Auftraggeber, der Wähler, zurücklegen. Die auf der Liste unmittelbar danach gereihte Person sollte in einem solchen Fall als „Mandatar(in)“ nachrücken, weil dies dem Wählerwillen noch am ehesten entspricht. Genau dieser Wählerwille nämlich ist es, der hier über allem zu stehen hat, wenn es demokratisch, d. h. nach dem Gestaltungswillen des Volkes, zugehen soll. Alles andere, besonders aber Schmierenkomödien mit „Überläufern“, sollte im Sinne einer intakten Demokratiehygiene schleunigst per Gesetz abgestellt werden. Ein „Überläufer“ hat mit seinem Verhalten Tausende seiner Wähler vor den Kopf gestoßen. Er und seine „neue“ Partei haben das politische Mandat zur Basar-Ware degradiert. Die Antwort aller guten Demokraten in dieser Stadt sollte den ihm versprochenen „sicheren“ Listenplatz zu einem bloß vermeintlich sicheren machen und damit ihm wie der Partei, die ihm diesen angeboten hat, eine Lehre in Sachen Partizipation erteilen. Helmut Hofmann [ zurück ]
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