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Aktion 21
AKTION 21

Der Bürger als Feindbild?


Montag, 8. Juni 2009

Es gilt hier, einige fundamentale Missverständnisse aufzuklären. Das eine betrifft die Rolle des Bürgers in partizipativen Prozessen. Das zweite betrifft den Sinn von Partizipation. Das dritte betrifft den Begriff „Bürgerbeteiligungsverfahren“. Und das vierte betrifft schließlich die politische und rechtliche Verantwortung von Entscheidungs- und Amtsträgern

Respekt vor sozialem Engagement.


Seit rund 3 Jahren bemühen sich über 1000 Bewohnerinnen und Bewohnern im unmittelbaren Umkreis des im 1. Wiener Gemeindebezirk gelegenen Luegerplatzes, einen dort geplanten und ihnen 2006 als unabänderliches Faktum präsentierten Garagenbau in Frage zu stellen. Der Grund dafür liegt einerseits in der Gefährdung des diesen Platz prägenden Naturdenkmals, einer 80-jährigen Platane, deren besonderer Wuchs für ihre Unterschutzstellung bestimmend war, andererseits in dem mangelnden Bedarf für dieses von mehreren unausgelasteten Garagen umgebenen Projekt. Dank dieser uneigennützigen Bemühungen von Bürgerinnen und Bürgern, die zugleich Wählerinnen und Wähler des Bezirkes sind, wurde die geplante Garage nach 3 Umplanungen so weit von der Platane abgerückt, dass die Gefahr für den unbeeinträchtigten Weiterbestand des Baumes wesentlich vermindert, wenn auch nicht ausgeschlossen werden konnte. Diese Bemühungen waren für etliche dieser Bürgerinnen und Bürgern mit sehr viel Zeit- und Kostenaufwand verbunden, für den sie niemand entschädigt außer ihrem Bewusstsein, ihren Mitmenschen dadurch ein Stück urbaner Lebensqualität erhalten zu haben. Für dieses soziale Engagement gebührte ihnen zumindest Respekt und faire Begegnung.

Fairness bitte, aber ehrlich!

Unfair empfinden diese Bürgerinnen und Bürger, wenn sie von politischen Amtsträgern so behandelt werden, wie einander parteipolitische Mitbewerber in den tiefsten Niederungen politischer Auseinandersetzungen mitunter begegnen. Ihnen geht es weder um politische Machtausübung, noch um die Gunst von Wählerstimmen. In ihren Reihen sind vermutlich – niemand wird danach gefragt – Sympathisanten aller politischen Richtungen zu finden, die sich oft in nur einem einzigen Ziel einig sind. Sie können auch nichts dafür, wenn sich die eine oder andere politische Partei dieses Ziel auf ihre Fahne heftet und auf ihre Art, die sich mit der Bürgerinitiative oft nicht deckt, durchzusetzen versuchen. Im Gegenteil: sie sind bereit, sich dem politischen Handeln der gewählten Mehrheit im Vertrauen darauf auszuliefern, dass sie dort mit gut begründeten Argumenten auch Gehör finden. Lässt man sie aber ins Leere laufen, fühlen sie sich mit Recht über den Tisch gezogen und gefrozzelt, darf man sich nicht wundern, wenn sie wütend werden. Besonders dann, wenn das mit den schon System gewordenen Diffamierungen, Verleumdungen und falschen Tatsachenbehauptungen einher geht, wenn ihnen schon bei „Projektpräsentationen“, Versammlungen und sonstigen Zusammenkünften salbungsvoll bedeutet wird, dass ihnen die Gnade des Zuhörendürfens und - bitte kurzgefasster - Fragestellungen zuteil werden würde, auf die mit schöner Regelmäßigkeit statt klarer Antworten minutenlanges, die Geduld aufs äußerste strapazierendes Expertengefasel zu folgen pflegt. Es wäre hoch an der Zeit, dass man unter Bürgerbeteiligung etwas anderes zu verstehen beginnt als das moderierte Ruhigstellen einer politisch interessierten Bevölkerung. Es wäre für Politiker hoch an der Zeit zu begreifen, dass Expertenbelehrungen „von oben“ ohne Bürgervertreter im Podium mit Beteiligung nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.

Abwälzen der Verantwortung

Der Vorwurf, mit berechtigter Kritik an undemokratischen Vorgangsweisen würden „einige Scharfmacher die Vertreter der Bürgerinitiative desavouieren“, richtet sich selbst. Desavouierend ist höchstens die Behauptung, mit diesen Vertretern sei so etwas wie eine Einigung zustande gekommen. Es ist unglaublich, ihnen zuerst undemokratische Vorgangsweisen mit dem Bemerken aufzuoktroyieren, man müsse ja gar keine Befragung abhalten, die Garage könne auch ohne eine solche gebaut werden, und dann wider besseres Wissen zu behaupten, man habe sie mit der BI „abgesprochen“. Die einzige Einigung, die von den „neutralen“ Moderatorinnen auch prompt mit Unterschriften festgehalten wurde, betraf den Wortlaut der gestellten Frage, und da erst, nachdem auf der Junktimierung des Ja oder Nein zur Garage mit dem zur Oberflächengestaltung nach dem Bau gegen den Protest der BI-Vertreter unabdingbar bestanden wurde. (Die – im übrigen einziige – Unterschrift der BI-Vertreter unter die Formulierung erfolgte einerseits in der irrigen Annahme, man habe sich der rechtlichen Zulässigkeit der Fragestellung vor deren Formulierung versichert, andererseits aber auch in der berechtigten Erwartung, dass die vom Garagenkoordinator zugesagte Offenlegung des Mehrfachstimmen-Filters vor Versendung der Stimmkuverts auch tatsächlich erfolgen würde – was bis heute nicht der Fall ist).
Was dabei aber wohlweislich übergangen wird ist die Tatsache, dass die Bezirksvertretung einen einhelligen Beschluss auf Abhaltung einer Befragung gefasst hatte, dass diese also keine freiwillige Gnade darstellt, die zu gewähren im Belieben der Obrigkeit steht. Nicht die Bürgerinitiative hat diesen Antrag gestellt, daher kann sie auch gar nicht verbindlich über ihre Modalitäten (mit)entscheiden. Die Gestaltungshoheit liegt in diesem Fall beim Bezirk (und auch nicht beim Garagenkoordinator), der die Verantwortung für die verfassungs- und gesetzeskonforme Durchführung trägt.
Nun könnte man einwenden, dass die Abwicklung von Bezirksteil-Befragungen in der Wiener Stadtverfassung nur sehr unzureichend geregelt sei. Das ist richtig, wenn man dort detailliertere Verfahrensbestimmungen sucht. Es gibt aber auch in der Bundesverfassung und in zahlreichen Wahlordnungen eine große Fülle von Bestimmungen, die sinngemäß angewendet werden können und, so aus ihnen übereinstimmende Grundsätze (wie eine Person – eine Stimme oder öffentliche Auflage von Wählerverzeichnissen) ableitbar sind, auch angewendet werden müssen.
Was damit gesagt werden soll: auf der Unzulässigkeit der gekoppelten Fragestellung zu bestehen war nicht Aufgabe der Bürgerinitiative, sondern die des Bezirks. Da sich dessen Vertretung entschieden auf die Seite der gekoppelten Fragestellung gestellt hatte, hat er allein die Rechtswidrigkeit zu verantworten und kann sich dabei nicht im geringsten auf eine Duldung derselben durch Vertreter der BI berufen.

Warum Partizipation?

Wenn erwartet wird, dass die Bürgerinnen und Bürger alles, auch die unzumutbarsten Vorgehensweisen, schweigend abnicken und „das Maul halten“, um postwendend die Partizipation grundsätzlich in Frage zu stellen, wenn sich „Aufmüpfige“ nicht an diese Erwartungen halten, dann hat man den Sinn von Partizipation nicht verstanden, auch wenn man das Wort ununterbrochen auf den Lippen trägt. Der Sinn von Partizipation liegt – und das ist am Beispiel der Platane eindrucksvoll bestätigt worden – darin, dass man der gezielten, durch zweifelhafte Expertengutachten unterlegten Intransparenz und Irreführung der Bevölkerung eine klare, nachvollziehbare Argumentation entgegensetzt, mit welcher redliche Politiker zu richtigem Handeln überzeugt werden. Dazu bedürfte es, wenn die Argumentationslage eindeutig ist und die Politik den Mut hat, nach Vernunft und Einsicht zu handeln, keines Plebiszites.

Was ist ein Bürgerbeteiligungsverfahren?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Es gibt vom Lebensministerium ausgearbeitete und verabschiedete Standards für Öffentlichkeitsbeteiligung. Darin kann man, wenn man nur will, ablesen, wie ein Bürgerbeteiligungsverfahren aussehen soll. Jedenfalls nicht so, wie es bei der Luegerplatzgarage praktiziert wurde. Das hat nämlich mit einem „Verfahren“ überhaupt nichts zu tun. Zu einem Verfahren gehören nämlich wesentlich eine objektive Verfahrensleitung, ein definiertes Verfahrensziel, eine objektive und nachvollziehbare Dokumentation der einzelnen Verfahrensschritte und klare Regeln über das Zustandekommen einer zum Ergebnis führenden Entscheidung. Von all dem war nichts zu bemerken, es sei denn, man sieht als der Bürgerinitiative verheimlichtes Verfahrensziel die Errichtung der Garage. Dass dieser Verdacht nicht so abwegig ist, erkennt man an dem 3. Platanengutachten, das nicht etwa die Frage untersucht, in welchem Bereich jeder unterirdische Bau der Platane Schaden zufügen könnte, sondern von einem von vorneherein fixierten Bereich ausgeht und bloß untersucht, was getan werden müsse, um die Gefahr eines Baumschadens so gering wie möglich zu halten (Stichwort Restrisiko).
Was tatsächlich stattgefunden hat, waren Gesprächrunden, in denen Vertretern der Bürgerinitiative Gutachten vorgestellt wurden (eines davon eine vom Garagenkoordinator fälschlich als Bedarfserhebung bezeichnete bloße Stellplatzzählung, zwei zur Platane, deren Unhaltbarkeit aufgrund massiver Einwände der Bürgerinitiative und der Umweltanwaltschaft durch eine zusätzliche Grabung eindeutig erwiesen ist) und in denen unter dem Zeitdruck einer bereits terminisierten Bürgerbefragung so wesentliche Modalitäten wie der Kreis der zu Befragenden, die Vermeidung von sich daraus ergebenden Mehrfachstimmen und deren Kontrolle, die Fragestellung selbst und die Wahrung der Anonymität in 3 Zusammenkünften innerhalb von 2 Wochen gegen mehrfache Proteste einfach diktiert wurde. In diesem Zusammenhang wiederholt von einer „Einigung“ mit der Bürgerinitiative zu sprechen, ist nicht nur glatter Zynismus, sondern obendrein der Versuch, die Vertreter der Bürgerinitiative zu desavouieren. Wer sich solcher Praktiken bedient, weiß darum, dass er die schlechteren Argumente hat.

Wer verantwortet was?

Selbst in einem Bürgerbeteiligungsverfahren können die verfassungsmäßig dazu berufenen Entscheidungsträger die Entscheidung nicht auf eine Bürgerinitiative abwälzen, schon gar nicht, wenn wider besseres Wissen eine „Einigung“ mit dieser behauptet wird. Wenn der Entscheidungsträger diese Entscheidung freiwillig durch ein bindendes Plebiszit herbeiführen will, dann ist der Entscheidungsträger umso mehr verhalten, dieses Plebiszit so objektiv und transparent wie möglich durchzuführen. Es gibt keine einsichtige Begründung dafür, dass das von Vertretern der Stadt Wien, dem Garagenkoordinator, der Bezirkspolitik und der Bürgerinitiative bei der Bacherparkgarage einvernehmlich festgelegte Befragungsprozedere bei der Luegerplatzgarage (vom Garagenkoordinator!) vehement abgelehnt wurde. Selbst wenn man sich der Ansicht anschließt, dass neben der im Wählerverzeichnis eingetragenen Wohnbevölkerung auch diejenigen stimmberechtigt sein sollten, deren berufliches Interesse im Befragungsgebiet liegt, ist es unverständlich, warum die von der Bürgerinitiative angeregte Einbeziehung der unselbständig Erwerbstätigen strikt abgelehnt wurde. Da die Befragung von der Bezirksvertretung beschlossen wurde, kann sich die Bezirksvorstehung nicht aus der Verantwortung für eine derart einseitige Festlegung der Befragungsmodalitäten stehlen, auch wenn der Anstoß zu demokratisch mehr als bedenklichen Vorgangsweisen von einer hiezu nicht einmal zuständigen Magistrats-Dienststelle kommt.

Missverständnisse und ihre Folgen

Nur vor dem Hintergrund solcher Missverständnisse ist verständlich, wenn versucht wird, eine Bürgerinitiative, die zum größten Teil aus Wählerinnen und Wählern des Bezirks besteht, mit Untergriffen aus der untersten Argumentationsschublade madig zu machen, mit denen man üblicher- und üblerweise sonst nur politische Gegner bedenkt. Allerdings: wem kein besseres Argument einfällt, als die Menschen, die sich – vom Magistrat schriftlich anerkannt! – für die Rettung eines Naturdenkmals vor dem Zugriff maßloser Bauwut eingesetzt haben, zu verunglimpfen und statt solcher Argumente die Befragung eines willkürlich festgelegten, unüberprüfbaren Personenkreises unter Verletzung fundamentaler rechtsstaatlicher Prinzipien inszeniert, ist nicht nur weit davon entfernt, ein taugliches Befragungsmodell zu schaffen, sondern leistet der Demokratie einen bedenklichen Bärendienst. Die durch konkurrierende Befragtenkreise in ihrer Souveränität eingeschränkten Bürgerinnen und Bürger werden wohl bei den nächsten Wahlen, bei denen es eine solche Einschränkung nicht geben wird, die passende Antwort geben.
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